Die Jaeger der Nacht
Keiner sagt etwas. Ich gehe am Ende der Schlange, im Windschatten.
»Eine sternklare Nacht«, sagt jemand zu mir.
Es ist Ashley June, die sich umgedreht hat.
»Ein bisschen zu hell für meinen Geschmack«, sage ich.
Sie kratzt sich vieldeutig das Handgelenk und wirft einen Blick nach oben. »Diese Hepra sind einfach wie Tiere im Zoo«, sagt sie. »Schlafen die ganze Zeit.«
»Die Begleiter sagen, sie sind von Natur aus scheu.«
»Die dummen Viecher«, faucht sie. »Selber schuld.«
»Inwiefern?«
Zu meiner Überraschung verlangsamt sie ihre Schritte, bis wir nebeneinandergehen. »Denk doch mal drüber nach«, sagt sie freundlich. »Je mehr der Gejagte über den Jäger weiß, desto größer sein strategischer Vorteil. Wenn sie wach wären, wüssten sie, wie viele wir sind, wie viele Männer, wie viele Frauen, wie alt …«
»Du gehst davon aus, dass sie von der Jagd wissen.«
»Sie müssen es wissen. Man hat ihnen Waffen gegeben.«
»Das hat nichts zu bedeuten. Außerdem wird ihnen ihr ›strategischer Vorteil‹ auch nicht viel weiterhelfen. Egal was passiert, die Jagd ist nach höchstens zwei Stunden vorbei.«
»Nach einer Stunde, wenn’s nach mir geht«, flüstert sie, offensichtlich nur für meine Ohren bestimmt. Ich sehe sie verstohlen von der Seite an. Seit unserer Ankunft im Hepra-Institut ist sie nicht mehr so forsch und drängt sich weniger in den Vordergrund wie das Starlet, das ich aus der Schule kenne. Sie taucht beinahe unter dem Radar weg. Natürlich weckt sie nach wie vor Aufmerksamkeit, einfach weil sie so attraktiv ist, aber sie stellt es nicht so zur Schau wie sonst.
Eine Brise weht über das Weite und bläst ein paar Strähnen ihres Haars über ihre blassen Wangenknochen. Ihre Augen wirken im steinharten Licht der Nacht ruhelos. Plötzlich bückt sie sich, um ihren Schuh zu binden. Ich bleibe mit ihr stehen. Sie lässt sich Zeit und bindet auch den anderen Schuh neu.
Als sie sich wieder aufrichtet, ist die Gruppe schon ein gutes Stück weitergegangen. »Weißt du, ich bin so froh, dass du hier bist«, sagt sie leise. »Es ist einfach so gut, einen … Freund zu haben.«
Das Geräusch des Wüstenwindes füllt das Schweigen zwischen uns.
»Wir sollten uns zusammentun«, sagt sie. »Ich glaube, wir können uns gegenseitig wirklich helfen.«
»Ich komme besser allein zurecht.«
Sie zögert. »Hast du viel über die Jagd vor zehn Jahren gelesen?«
»Ja, genau wie alle anderen auch«, lüge ich. Ich habe jedes Buch, jeden Artikel, jeden Satz, jedes Wort gemieden.
»Nun, ich hab die ganze Jagdgeschichte studiert. Mehr als irgendjemand sonst. Mit geradezu religiösem Eifer. Es ist schon seit Jahren eine Obsession von mir. Ich habe Bücher gelesen, Zeitschriften abonniert, die Bibliotheken nach Informationen zu dem Thema durchforstet. Ich hab mir sogar Radiointerviews mit ehemaligen Gewinnern angehört, obwohl die meisten zwar reichlich muskulös, aber ziemlich dumm waren. Egal, ich will bloß sagen, was immer du in den nächsten vier Nächten lernen kannst, ich weiß es bereits. Schon seit Jahren.«
»Schön zu wissen«, sage ich, unsicher, worauf das hinauslaufen soll. Aber sie lügt nicht. In der Schule ist sie Mitglied in allen möglichen Hepra-Gesellschaften und -Clubs.
»Pass auf, es ist ein offenes Geheimnis. Die meisten Leute hier wissen es bereits, aber du bist offenbar ahnungslos, also lass dich einweihen: Man muss sich verbünden. Es gewinnt immer jemand aus der stärksten Allianz. Das gilt für die letzte Jagd und für alle anderen Jagden davor. Wenn man ein starkes Bündnis schließt, schneidet man gut ab. So einfach ist das.«
»Warum tust du dich nicht mit einem der anderen Jäger zusammen? Jeder weiß, dass rohe Kraft und Gewandtheit bei der Jagd immer triumphieren. Und was das angeht, sind die anderen Jäger bessere Mitstreiter als ich. Zum Beispiel die beiden College-Studenten: Sie sind athletisch und durchtrainiert. Selbst der verschlossene alte Typ ist ein besserer Jäger als ich; was ihm möglicherweise an Kraft fehlt, macht er mit seiner Gerissenheit wieder wett. Und was die Frau angeht – die sieht auch so aus, als wüsste sie, wie man es anfängt. Mit ihr kommst du bestimmt weit.«
»Es geht um Vertrauen. Du bist der Einzige hier, dem ich vertrauen kann.«
»Na, dann vertrau mir in diesem Punkt. Mit mir verlierst du.«
»Du willst es also nicht mal versuchen?«
»Natürlich will ich das! Ich will diese Hepra genauso wie jeder andere. Ich bin bloß
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