Die Jaeger der Nacht
trübsinnigen Frühstück. Hagermann und Rotlippchen hatten nervös an einem eigenen Tisch Platz genommen, während alle anderen Abstand wahrten. Die beiden sahen aus, als hätten sie den ganzen Tag kein Auge zugetan. Über allem, den Tischen, den Stühlen und dem durchweichten Frühstück, hing eine seltsame Stille wie der Dunst über einem Becherglas voll Säure. Und der Speisesaal war leerer als sonst, die Begleiter waren merkwürdigerweise abwesend. Die ganze Zeit rechneten wir damit, dass jeden Moment ein Trupp Offizieller hereinmarschieren würde, um Hagermann und Rotlippchen abzuführen. Aber niemand kam. Deshalb wirkten Hagermann und Rotlippchen auch ein wenig entspannter, als wir uns nach dem Frühstück zum Vorlesungssaal begaben.
Auch ich bin erleichtert, aber aus einem anderen Grund: Ich stinke nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so, dass ich Aufmerksamkeit errege. Die Katzenwäsche im Teich scheint gewirkt zu haben – jedenfalls gerät niemand mehr wegen meines Geruchs in Wallung. Vielleicht sind durch die Tötung des Hepra bei der Introduktion gestern aber auch nur alle gegen kleinere Dosen Hepra-Geruch desensibilisiert worden. Ich habe in jedem Fall gewonnen.
Der Direktor hat sich hinter dem Rednerpult postiert. Wenn er vor Wut kocht, weiß er es hinter seiner klinisch präzisen Sprache gut zu verbergen. Weder sind seine Augenbrauen hochgezogen noch schnellt sein Kopf nach vorn. Er spricht mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, der wahllos Grabinschriften vorliest, ohne den Hauch eines tadelnden Untertons wegen des gravierenden Verstoßes, der begangen wurde. Seine dünne Stimme ist leise, eine Rasierklinge, die hin und her schwingt und zum Kontakt herausfordert.
»Ihr hattet euren Spaß. Aber die Konsequenzen … Eure Taten werden Konsequenzen nach sich ziehen.« Sein Blick wandert nicht einmal in die Nähe von Hagermann und Rotlippchen, die besonders steif auf ihren Stühlen sitzen. »Gesellschaftlich sind die Vorgaben völlig klar. Es ist ein Kapitalverbrechen, ein Hepra zu jagen und zu töten. Töte und du wirst getötet. Doch die gestrige Tötung war – sagen wir, streng juristisch – keine illegale Jagd. Sie ereignete sich im Rahmen der Ausbildung für die vom Palast unterstützte Hepra-Jagd.«
Ich sehe, wie Hagermann und Rotlippchen sich ein wenig entspannen.
»Aber es wird Konsequenzen geben, denn ein Hepra wurde getötet, egal wie alt und ausgezehrt es gewesen sein mag. Es ist weg. Es ist nicht mehr. Jahre wissenschaftlicher Forschung werden keine Früchte tragen. Deshalb darf dieser Zwischenfall nicht einfach zu den Akten gelegt werden, ohne dass jemand zur Verantwortung gezogen wird. Ein Verbrechen gegen ein Hepra ist ein Verbrechen gegen den Palast. Und deshalb müssen diese feigen Taten Folgen haben. Eine Strafe muss verhängt werden.«
Hagermann und Rotlippchen erstarren wieder auf ihren Stühlen. »Natürlich«, fährt der Direktor fort und lässt seinen Blick schweifen, bis er auf den beiden ruht, »kann nichts gegen euch unternommen werden.«
Sie legen den Kopf zur Seite.
»Wir haben schon zu viel in euch investiert«, spricht der Direktor weiter. »Euch zu diesem späten Zeitpunkt des Spiels, wenige Nächte vor der Jagd, noch rauszuschmeißen und Ersatz zu besorgen, ist schlicht keine geeignete Alternative.«
Seine Stimme wird noch leiser, als er zu den leeren Plätzen in den hinteren Reihen blickt. »Aber eine Strafe muss verhängt werden, damit niemand auf die Idee kommt, die Regierung würde schwach. Denn ein Kapitalverbrechen muss mit einer Hinrichtung gesühnt werden. Oder zweien. Oder dreien. Oder sieben.«
Seine nächsten Worte sind rasiermesserscharf. »Ihr werdet bemerkt haben, dass eure Begleiter verschwunden sind.« Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Der Direktor sagt nichts weiter, sondern geht langsam über die Bühne zu einem zweiten Rednerpult, dieses komplett aus Glas.
»Und nachdem diese unerfreulichen Dinge nun besprochen worden sind, habe ich auch gute Neuigkeiten zu berichten, eine sehr angenehme Überraschung sogar. Der Palast hat uns angewiesen, zu einem Festbankett einzuladen. Hunderte von Würdenträgern kommen, hochrangige Offizielle, einflussreiche Männer mit ihren Frauen und Geliebten. Das Ganze wurde sehr kurzfristig angesetzt, aber morgen Abend haben wir ein kleines Zeitfenster. Früher hat dieses Institut zahlreiche Festbankette ausgerichtet, deshalb sind wir jederzeit funktionsfähig. Die Einrichtung muss lediglich ein
Weitere Kostenlose Bücher