Die Jaeger der Nacht
gern essen, Lieder, die wir gern singen, Lachen, Lächeln und (selten und nur, wenn es sein muss) auch Tränen. Die Bewahrung der Tradition, die Weitergabe von Büchern und uralten Geschichten.
Dann gibt es noch die sehr seltenen Treffen mit anderen Hepra-Familien am helllichten Tag, wenn der Rest der Stadt ahnungslos hinter geschlossenen Läden schläft. Und wenn wir älter werden, gibt es auch Romanzen, das Hochgefühl der Verliebtheit und irgendwann die Gründung eigener Familien.
Warum bist du hier?
Ich wurde vor Kurzem als Mitarbeiter am Institut engagiert.
Hast du den Forscher ersetzt?
Ja, ich habe den Forscher ersetzt, bin in seine Unterkunft gezogen und setze seine Arbeit fort. Er war sehr fleißig und sorgfältig; es wird Monate dauern, bis ich auf dem aktuellen Stand bin.
Das heißt, du weißt Bescheid über ihn.
Natürlich.
Dass er ein Hepra war.
Eine Pause. Ja, natürlich.
Wohin ist er gegangen? Er ist eines Tages einfach verschwunden.
Was? Was hast du gesagt?
Wohin ist er gegangen?
Kann ich noch ein bisschen Wasser haben, bitte?
Wohin ist er gegangen? Er hat uns erklärt, er würde uns hier rausholen und ins Land von Milch und Honig, Obst und Sonnenschein führen. Ein Neuanfang, ein neuer Ursprung.
Denkt ihr darüber nach? Wie ihr hier rauskommt?
Natürlich. Jeden Tag. Wir sind alle schon unser Leben lang hier. Eingesperrt hinter einer Glaswand, eingesperrt von der Wüste, eingesperrt von Reißzähnen und Klauen. Der Forscher hat gesagt, er würde uns hier rausholen. Aber er hat nie gesagt, wie oder wohin. Weißt du es?
Ja.
Wohin?
Ich deute auf die Berge im Osten. Dorthin. Über diese Berge. Dorthin, woher wir ursprünglich stammen. Wo es Tausende unserer Art gibt. Ins Land von Milch und Honig, Obst und Sonnenschein.
Wie? Es ist zu weit weg. Wir werden sterben.
Ich nicke. Vor Durst. Und Hunger.
Aber sie schüttelt den Kopf. Nein. Sie werden uns jagen und schon auf halbem Weg zur Strecke bringen.
Natürlich. Natürlich.
Wie kommen wir hier raus?
Ich antworte, ohne sie anzusehen. Der Forscher. Er wird euch hier rausholen.
Sissy nickt aufgeregt. Das hat er auch gesagt. Er hat versprochen, er würde uns hier wegführen, wir müssten ihm nur vertrauen. Selbst wenn alle Hoffnung verloren scheine, dürften wir nicht aufgeben, hat er gesagt, er würde einen Ausweg finden. Und dann ist er eines Tages verschwunden. Es war hart für uns; wir hatten die Hoffnung beinahe aufgegeben. Und jetzt du. Nach all der Zeit tauchst du wie aus dem Nichts hier auf. Du kannst uns helfen, oder?
Gebt mir Zeit, gebt mir Zeit. Der Forscher hat mir einen Haufen Papiere zum Durcharbeiten hinterlassen.
Nun, davon haben wir jede Menge. Zeit.
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, wo ich bin. Noch immer in dem Hepra-Dorf, noch immer in einer Lehmhütte. Ich liege auf einem weichen Sack auf der Erde. Die Sonne scheint durch die siebartige Decke und wirft ein Muster aus Lichtflecken auf den Boden.
Sie sitzen im Halbkreis um mich herum. Einige liegen und dösen.
»Er ist wach!«, sagt Ben.
Mit pochendem Herzen springe ich auf. Ich bin noch nie in einer Gruppe aufgewacht. In meinem normalen Leben wäre ich jetzt tot. Aber sie blicken mit amüsierten, harmlosen Gesichtern zu mir auf. Entnervt setze ich mich wieder.
Sissy schickt Jacob frisches Wasser holen, David zum Umbilicus, um nachzusehen, ob frisches Brot gekommen ist, und Ben zum Obst- und Gemüsepflücken. Die drei stürzen davon. Nur die beiden Ältesten, Sissy und Epap, bleiben zurück. Irgendwie glaube ich nicht, dass das Zufall ist.
»Wie lang hab ich geschlafen?«
»Zwei Stunden. Erst hast du noch geredet und im nächsten Moment warst du dann plötzlich weg«, sagt Sissy.
»Und geschnarcht hast du auch«, höhnt Epap.
Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, ist es etwa Mittag. »Das ist meine übliche Schlafenszeit. Und in den letzten paar Tagen hatte ich wirklich viel um die Ohren. Tut mir leid, dass ich in eurer Gesellschaft einfach so eingeknackt bin, aber ich war total fertig.«
»Ich wollte dich mit einem Tritt wecken«, sagt Epap, »aber sie hat dich schlafen lassen.«
»Danke«, murmele ich heiser und mit trockenem Mund, »auch für das Kissen.«
»Du sahst aus, als könntest du ein wenig Schlaf brauchen«, sagt sie und reicht mir einen Krug Wasser. »Klingt so, als könntest du auch noch einen Schluck Wasser brauchen.«
Ich nicke dankbar. Das Wasser rinnt durch meine trockene, sandige Kehle. Ich bin
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