Die Jäger des Lichts (German Edition)
sich in der Praxis als unglaublich schwierig. Aus dieser Höhe wirkt der See kaum größer als eine Münze – eine lachhaft kleine Landefläche, umgeben von Granitfelsen voller Krater und dichten Nadelwäldern, deren Baumwipfel wie Messer in die Luft ragen.
Die Landung auf dem See fühlt sich an, als würde ich in eine Mauer aus Eis krachen. Das modrige Wasser ist beim Aufprall bretthart. Als ich über die Oberfläche schlittere, ist es, als würden meine Beine und dann mein Körper gegen einen Metallschredder gepresst. Unvermittelt bohrt sich der Gleiter in die Tiefe. Kälte, Nässe, Dunkelheit und ein Wirbel von Luftbläschen stellen die Welt auf den Kopf und kehren sie von innen nach außen. Total orientierungslos schnalle und streife ich die Weste ab und trete den sinkenden Gleiter weg. Achte auf die Bläschen, folge ihnen nach oben, achte auf die Bläschen . Ich breche durch die Wasseroberfläche, und die weite Kuppel des Nachthimmels spannt sich über mir, prallvoll mit Sauerstoff.
Ich schwimme ans Ufer und ziehe mich an Land. Mir ist kalt. Ich muss mich beeilen, meine Gliedmaßen zittern wie Äste in einem Sturm, mein Verstand verliert sich schon in unzusammenhängenden, wahllosen Gedanken. Auf wackeligen Beinen schleiche ich zur nächsten Hütte, die Arme um den Körper geschlungen, die Hände in den Achselhöhlen vergraben. Mit meinen kalten, steifen Fingern kann ich kaum den Türknauf packen. In der Hütte ist es dunkel. Ichreiße die Truhe auf, zerre mir die nassen Kleider vom Leib und ziehe trockene an.
Und dann fällt mir auf, dass ich noch keinen einzigen Menschen gesehen habe.
Mit klappernden Zähnen renne ich auf die Straße.
Ich lasse den Blick über den Dorfplatz schweifen; nichts bewegt sich, niemand ist da. Als ich schon denke, dass Sissy alle zum Aufbruch überreden konnte, sehe ich eine Gruppe Mädchen. Ihre Lider hängen schläfrig herunter, doch als sie mich sehen, reißen sie überrascht die Augen auf.
»Wo sind meine Freunde?«, frage ich. Es sind die ersten Worte, die ich seit Stunden gesprochen habe, und sie klingen selbst in meinen Ohren schrill und nervös.
Die Mädchen starren mich nur ängstlich an.
»Habt ihr mich gehört? Meine Freunde: Sissy, Epap, die Jungen. Haben sie es bis hierher zurückgeschafft? Habt ihr sie gesehen?«
Doch sie stieren mich nur leeren Blickes an, unbeeindruckt von meinem drängenden Ton. Bis auf eine. Sie wirkt wie versteinert.
»Sie haben es bis hierher zurückgeschafft?«, frage ich sie.
Sie nickt.
»Wo sind sie?«, frage ich.
»Am Bahnhof«, sagt sie leise. »Jedenfalls die meisten.«
»Was soll das heißen, die meisten ?«
Sie packt ihren Rock und ballt den Stoff in ihren Händen.
»Was ist los?«, frage ich, zunehmend beunruhigt.
»Mehr kann ich nicht sagen. Ich kann nicht«, sagt sie, und ihr Körper wird steif.
»Was geht hier vor?«, will ich wissen. Als niemand antwortet oder mir in die Augen sieht, laufe ich in Richtung Bahnhof.
»Seht zu, dass ihr zum Bahnhof kommt!«, rufe ich den Mädchen zu. »Wenn ihr überleben wollt, müsst ihr in diesen Zug steigen!«
Auf den Bahnsteigen herrscht geschäftiges Treiben. Scheinbar das halbe Dorf ist da und entlädt Waggons. Entlädt immer noch die Waggons.
»Sissy!«, rufe ich.
Köpfe drehen sich in meine Richtung, ein rundes, verschlafenes Gesicht nach dem anderen, aber keine Spur von Sissy und den Jungen.
»Epap! David!«
Alle auf dem Bahnsteig erstarren und sehen mich überrascht an, aber keiner sagt etwas.
Und dann höre ich Sissy vom Ende des Zuges rufen. »Hier, Gene! Hier! Beeil dich …« Ein klatschendes Geräusch lässt sie verstummen.
Das macht mir Beine. Ich renne los, stoße Behälter und Generatoren aus dem Weg und springe über die Schläuche, die sich auf dem Boden winden. Am Ende des Bahnsteigs wartet eine Phalanx von Älteren.
Keuchend bleibe ich vor ihnen stehen. Sie fächern aus wie eine aufblühende Venusfalle und umzingeln mich. Dann sehe ich sie, gefesselt in dem Waggon. Sissy und die Jungen. Fast alle Jungen.
»Wo ist Ben?«, frage ich.
»Krugman hat Ben in seinem Büro«, sagt Sissy. Eine Hälfte ihres Gesichts ist geschwollen. Ihre aufgeschürften und wunden Hände sind über ihrem Kopf an einen der Gitterstäbe gefesselt. »Sie wollten nicht auf uns hören. Sie haben uns gepackt und gewaltsam in den Zug verfrachtet.«
Neben ihr zittert David, den Tränen nahe. Jacob ist an die andere Seite des Waggons gefesselt. Ich sehe die Knoten, mit denen sie an
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