Die Jäger des Lichts (German Edition)
höre ein entferntes Knacken wie von zerbrochenen Zahnstochern und begreife erst nach einer Weile, dass es Bäume sind, die von den Schattern gefällt und pulverisiert werden. Die Hepra-Gerüche, die ihnen über den Berg entgegenschlagen, treiben sie zur Raserei.
Ich werfe den Hängegleiter aufs Bett und renne nach draußen. Von der Veranda kann ich den Fortschritt ihres Ansturms an den in der Ferne schwankenden Baumkronen erkennen.
Sie kommen. Sie kommen. Und sei es Zufall oder Absicht, die Hütte liegt direkt auf ihrem Weg.
Ich renne zurück ins Haus und überlege, mich in der Hütte zu verbarrikadieren, verwerfe die Idee jedoch gleich wieder. Die Holzhütte würde den Schattern in etwa so viel Widerstand bieten wie eine Streichholzschachtel einer Feuerwalze. Sie würden sie binnen Sekunden in Kleinholz verwandeln.
Ich trage den Hängegleiter seitlich durch den Flur und die Haustür. Kalte Böen fegen über die Lichtung und tragen das Echo des Geheuls mit sich.
Jetzt oder nie, bereit oder nicht. Ich entscheide mich für jetzt und bin hoffentlich bereit .
Ich befestige einen Haken in der passenden Öse am Hängegleiter und gehe schon Richtung Klippe, während ich aufs Geratewohl und ohne zu wissen, was ich da genau tue, weitere Karabiner einhake und Kordeln durch Schlaufen ziehe. Ich kann nur hoffen, dass alles am richtigen Platz ist.
Der Boden unter meinen Füßen bebt.
Aus dem Wald hinter und neben mir kommen weitere Schreie. Sie klingen anders als zuvor, begeistert, angenehm überrascht über einen unvermuteten Fund.
Ich renne los. Baumelnde, noch nicht eingehakte Karabiner schlagen gegen meinen Körper wie die Stupser eines bedürftigen Kinds – mach mich fest, mach mich fest –, doch dafür ist es schon zu spät. Mir ist, als würden ihre messerscharfen Schreie nicht nur meine Trommelfelle, sondern auch die Haut in meinem Nacken und an meinen Fersen zerfetzen und sich wie gezückte Krallen zu mir ausstrecken. Ich ziehe die Steuerstange aus Metall über meinen Kopf, immer darauf bedacht, wohin ich meine Schritte setze, denn jedes Stolpern wäre jetzt fatal.
Ein Hülle aus Dunkelheit breitet sich über mich.
Sieh dich nicht um. Guck nicht zur Seite. Halt den Blick fest auf die Klippe gerichtet. Lauf auf die Klippe zu, lauf, lauf, lauf .
Dann rast der Rand der Klippe auf mich zu, und dahinter klafft ein weiter Schlund der Leere. Ich weiß nicht, was ich mit dem Hängegleiter anfangen soll, doch für Bedenken ist es zu spät. Während der Boden bebt und die Luft von tausend gierigen Schreien zerrissen wird, stürze ich mich über den Rand der Klippe in den gähnenden Abgrund bodenloser Finsternis.
Und genau in diesem Moment höre ich einen Schrei, ein einzelnes Wort, das sich aus dem Geheul in meinem Rücken schält. Gene!
Ich stürze in die Tiefe, und meine Füße strampeln ins Leere, während die Felswand vor meinen Augen vorbeifliegt. Es ist windstill. Der Hängegleiter flattert wie ein verletzter Vogel, die Flügel klappern hysterisch, und in meiner Magengrube macht sich ein flaues Gefühl von Panik breit.
Wie aus dem Nichts kommt eine gewaltige Böe auf, an die sich der Hängegleiter mit einem hörbaren Klicken hängt. Unvermittelt bekommt die Luft die Festigkeit eines luxuriösen Teppichs, der mich in den Nachthimmel hebt.
Mit einem Kloß im Hals und die Metallstange fest gepackt riskiere ich einen Blick nach unten. Schatter stürzen sich scharenweise über die Klippe in den schwarzen Abgrund. Der Gleiter beginnt zu wackeln, und ich konzentriere mich wieder auf die Stange und die Steuerung des Apparats. Ich wende meinen Körper in diese und jene Richtung und teste vorsichtig die Flugmechanik aus. Die meisten Dinge begreife ich recht schnell, und so habe ich schon bald ein Gefühl für den Gleiter entwickelt. Alles muss langsam und fließend geschehen, ruckartige Bewegungen oder plötzliche Manöver sind zu vermeiden. Wenn man die anfängliche Furcht erst mal überwunden hat, ist es gar nicht so schwierig.
Es ist vielmehr ziemlich berauschend. Das Gefühl, durch die luftigen Weiten zu schweben, die überraschend sanfte, erfrischende Brise auf meinem Gesicht. Weit unter mir stürzt der Nede-Fluss in einem riesigen Wasserfall aus dem Berg. Er glänzt wie ein Magnesiumstreifen, ein Pfeil, der nach Osten weist. In Richtung Gelobtes Land. Zu meinem Vater. Wenn der Wind nicht dreht, werde ich gut vorankommen.
Ich werfe einen letzten Blick zurück zum Berg. Der Mond gießt sein milchiges Licht
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