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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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Wind ungeschützt ausgesetzt. Und vor allem der Sonne. Mit anderen Worten: Diese Züge sind schattersicher gebaut.Selbst der Boden besteht aus einem Gitter. Ein Schatter, der als blinder Passagier auf diesem Zug mitfahren würde, wäre der Sonne schutzlos ausgesetzt und binnen Minuten zu einer matschigen Pfütze reduziert, die noch viele Meilen lang durch das Bodengitter auf die Gleise tropfen würde.
    Die Waggons sind vollgepackt mit allen möglichen Waren: Dosen, Flaschen und Gefäße in durchsichtigen Plastikkisten, Stühle und Tische, perfekt ineinandergefügt und gestapelt wie Puzzleteile und mit durchsichtigen Plastikplanen umwickelt. Wein-, Bier- und Whiskyflaschen sind in klimatisierten und luftgefederten Glastruhen untergebracht.
    »Guck mal«, flüstere ich. Auf dem Bahnsteig, der uns am nächsten ist, nimmt ein Mädchen einen Schlauch, der an eine Art Generator angeschlossen ist, geht breitbeinig in die Hocke und drückt auf einen Knopf.
    Wasser schießt aus dem Schlauch. Der Rückstoß lässt sie ein paar Schritte rückwärtsstolpern, ehe sie festen Halt gefunden hat. Sie beginnt, die Ladung des Waggons abzuspritzen. Ein Dutzend andere Mädchen auf beiden Bahnsteigen tun es ihr nach. Jede von ihnen ist mit einem Schlauch ausgestattet und sie verteilen sich über die gesamte Länge des Zuges. Offenbar ist die Säuberung der Plastikkästen und -behälter eine Aufgabe von höchster Priorität. Kein Quadratzentimeter wird ausgelassen und der Boden der Waggons sogar von unten abgespritzt, bis der ganze Zug von einem feuchten Dunst umhüllt ist.
    Kleinere Gruppen von Älteren mit Klemmbrettern gehenauf den Bahnsteigen auf und ab. Doch falls sie vorhatten, eine Bestandsliste der Ladung zu erstellen, hat das offenbar keine Eile. Sie schlendern zum letzten Waggon, vor dem sich bereits eine Gruppe von Mädchen versammelt hat.
    »Lass uns näher rangehen«, flüstert Sissy, und wir schleichen uns im Schutz der Bäume und über die Wiesen an. Niemand bemerkt uns, alle Aufmerksamkeit gilt dem Zug, vor allem dem letzten Waggon. Die Älteren rufen den Mädchen zu, dass sie mit dem Abspritzen aufhören sollen. Der Generator wird abgeschaltet, der Wasserstrahl aus den Schläuchen versiegt sprotzend zu einem Rinnsal. Allmählich löst sich die Dunstwolke auf, und der vergitterte letzte Waggon tritt langsam aus dem Nebel.
    Sissy fasst meine Hand und drückt sie fest.
    Wasser tropft von den Gitterstäben, dahinter bewegt sich etwas.
    Sissy und ich sind als Einzige starr vor Angst. Auf dem Bahnsteig kreischt niemand auf oder zuckt verängstigt zusammen. Hinter den Gitterstäben des letzten Waggons bewegen sich Umrisse und drängen zum Rand, sodass dahinter weitere Konturen sichtbar werden, die sich unkoordiniert bewegen wie Wellen eines aufgewühlten Meeres. Als das Brummen des Generators verstummt, hört man ängstliches, erschöpftes und hungriges Blöken, Meckern, Kreischen, Glucken und Grunzen.
    Ich atme schwer durch die Nase aus. Erleichterung erfüllt meine Brust, als ich nach Sissys Hand greife.
    »Was ist das?«, fragt sie.
    »Lebendiges Vieh«, sage ich. Sie sieht mich fragend an. »Schatter lieben es, bestimmte Tiere zu essen«, erkläre ich. »Zum Beispiel Kühe, Hühner und Schweine. Ihr Appetit darauf ist natürlich nicht vergleichbar mit ihrem Heißhunger auf unser Fleisch, aber Kühe, Hühner und Schweine sind mittlerweile trotzdem eine echte Rarität, die nur der obersten Elite des Landes zu ganz besonderen Anlässen serviert wird. Die normale Bevölkerung bekommt sie nie zu essen; die meisten müssen sich mit synthetischem Kunstfleisch begnügen. Sissy«, sage ich zunehmend aufgeregt, »Schatter würden dieses lebendige Vieh nie hergeben. Schon gar nicht für Menschen.«
    Erkenntnis blitzt in Sissys Augen auf. »Das heißt, wer auch immer am anderen Ende der Gleise wartet …«
    »… ist höchstwahrscheinlich kein Schatter«, beende ich ihren Satz und drücke ihre Hand. »Es muss ein Ort sein, wo unseresgleichen leben. Die Zivilisation ist das Gelobte Land! Jacob hat Recht: Wir haben uns grundlos Sorgen gemacht.«
    Sissys Blick folgt den Gleisen bis zu dem Punkt, wo sie in der Dunkelheit verschwinden.
    »Ich dachte, das Fleisch, das wir hier essen, würde von der Farm stammen«, rede ich weiter. »Aber so ergibt es einen Sinn. Bei dem Fleischverzehr hier kann man den Bedarf mit dem Tierbestand gar nicht nachhaltig decken. Das meiste Fleisch muss importiert werden.«
    Doch Sissy starrt weiter die Bahngleise

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