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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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hinunter, das Kinn entschlossen gereckt und fest wie ein Granitfelsen im Mondlicht. Sie sieht mich aus den Augenwinkeln an und blickt dann auf das Brandmal an ihrem nackten Unterarm. »Ich weiß nicht, Gene«, flüstert sie mit gerunzelter Stirn und beißt sich auf die Unterlippe. »Vielleicht bin ich ja übervorsichtig, aber ich muss trotzdem noch mehr wissen.«
    Schweigend beobachten wir die Aktivitäten auf dem Bahnsteig. Weitere Ältere treffen ein. Allenthalben wird gelacht und gelächelt, die Freude über die Lieferung ist offenkundig. Schon werden die Kisten mit dem Alkohol geöffnet und die ersten Flaschen entkorkt. Ich höre Krugmans Lachen in der Dunkelheit, bevor sein Gesicht in unserem Blickfeld auftaucht. Er hat zwei Flaschen am Hals gepackt wie ein Mann, der ein Paar Gänse erwürgt.
    Die Mädchen arbeiten stumm und perfekt koordiniert: In langen Schlangen strömen sie, beladen mit Kisten und Behältern, sternförmig vom Bahnhof weg, während andere mit leeren Händen wieder zurückkommen wie eine auflaufende Flut. Wegen ihrer kleinen Füße bewegen sie sich nur langsam, doch ihre schiere Masse sorgt dafür, dass es stetig vorangeht. Bis zum Morgengrauen, spätestens bis Mittag werden sie den Zug entladen haben, und er steht für die Rückfahrt bereit.
    Sissy weiß, was das bedeutet. Sie muss bald eine Entscheidung treffen. Aber ihr Gesicht ist ein Abbild des Zweifels.
    »Ich habe eine Idee, Sissy«, sage ich, wende mich ihr zuund lege die Hände auf ihre Schultern. »Ich steige in den Zug. Aber nur ich. Du bleibst mit den Jungen hier. Nein, hör mich an. Ich werde zum Ziel am Ende dieser Gleise fahren. Wenn es das ist, was wir uns erhoffen, wenn es tatsächlich das Gelobte Land ist, komme ich mit dem nächsten Zug zurück und hole dich und die Jungen ab. Dann brechen wir alle zusammen von hier auf.«
    »Und wenn …«
    »Wenn ich nicht zurückkomme, wisst ihr, dass ihr nicht dorthin fahren sollt.«
    Als ich fertig bin, schüttelt sie immer noch den Kopf, aber langsamer. Ein kurzes Zögern huscht über ihr Gesicht – der Plan ist vernünftig, und sie weiß es. Aber dann starrt sie mir direkt in die Augen. »Kommt nicht infrage«, sagt sie.
    »Sissy …«
    »Nein, du darfst nicht den Helden spielen, der sich selbstlos opfert.«
    »Ich versuche gar nichts zu spielen. Überleg doch mal, Sissy. Bei meinem Plan bleibst du mit den Jungen zusammen. Ist das nicht das, was du willst?«
    Ihr Blick flackert kurz. »Ich will, dass wir zusammenbleiben.«
    »Die Jungs kommen gut ohne mich zurecht.«
    Sie legt die Hand auf meine Wange. »Mit wir meinte ich dich und mich.«
    Ich lasse meine Hände von ihren Schultern gleiten. »Sissy …«
    »Ich will nicht ohne dich sein«, sagt sie. Eine Brise weht über die Wiese und bläst ihr die Haare ins Gesicht. Durch die windzerzausten Strähnen hindurch trifft ihr wacher, eindringlicher Blick auf meinen. In ihren Augen schimmert silbernes Mondlicht. Und dann ist es, als würden alle Geräusche verschluckt, der im Gras raschelnde Windstoß, die Stimmen auf dem Bahnsteig, das blökende Vieh in dem Waggon, alles verstummt, bis ihre Stimme der einzige Klang im Universum ist. »Ich will nicht, dass wir getrennt sind«, flüstert sie. »Nicht für eine Woche. Nicht für einen Tag. Nicht eine einzige Stunde, Gene.«
    Ich streiche ihr die Strähnen aus dem Gesicht hinters Ohr, und sie schmiegt sich in meine Handfläche und presst ihren Wangenknochen an meine Haut. Ich zögere, überlege.
    Sie muss gespürt haben, wie ich entschlossen die Muskeln gestrafft und die Augen zusammengezogen habe. Denn sobald ich mich von ihr löse, streckt sie den Arm aus, um mich aufzuhalten. Aber sie kommt zu spät.
    »Gene! Nicht!«
    Ich renne über die Weide zum Bahnsteig und höre, wie sie mir durch das Gras nachläuft. Doch mein Vorsprung ist zu groß, wenig später springe ich die Stufen zum Bahnsteig hoch.
    »Krugman!«, rufe ich. Er steht in der Mitte des Bahnsteigs. Mädchen weichen mir aus, als ich auf ihn zurenne.
    »Ich steige in den Zug«, erkläre ich Krugman japsend und versuche, gleichzeitig zu atmen und zu sprechen. »Abernur ich. Die anderen bleiben erst mal hier und warten, bis ich zurückkomme. Erst dann werden wir gemeinsam aufbrechen.«
    Sekunden später hat Sissy mich eingeholt. »Was immer er Ihnen gerade gesagt hat«, keucht sie, »es wird nicht passieren.« Mit wutentbranntem Gesicht wendet sie sich mir zu. »Du steigst nicht allein in den Zug.«
    »Lass es mich einfach

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