Die Jäger des Lichts (German Edition)
Stahl.
Krugman starrt mich lange an. »Das haben wir doch schon erörtert. Er war ein gestörter Mann.« In seinen Worten schwingt nicht der Hauch eines Zweifels mit, eher eine Drohung, ihm zu widersprechen. »Unser Fehler war es, dass wir ihn nicht zur Rückkehr in die Zivilisation gezwungen haben. Der Mann brauchte professionelle Behandlung. Er gehörte in eine psychiatrische Einrichtung.«
»Wirklich?«
»Und wer kann es ihm überdies verdenken, dass er lieber hier in der Mission bleiben wollte? Es ist zwar nicht die Zivilisation, aber es ist auch kein Drecksloch, oder? KnapperZweiter, wenn ich das selbst so sagen darf. Ein Topf Gold am Ende des Regenbogens, ein buttriger Sonnenstrahl, wo Gesang, Lächeln und eine freudige Grundhaltung Pflicht sind.«
»Nun, das wirft eine weitere Frage auf«, sage ich.
»Nur zu.«
»Wenn dieses Dorf ein solcher Sonnenstrahl ist …«
»Ja?«
»… warum hat der Forscher sich dann umgebracht?«
Schweigen.
»Vorsicht, Junge«, warnt einer der Älteren.
»Ich meine, wenn dieser Ort, wie Sie gerade gesagt haben, ein Topf Gold am Ende des Regenbogens ist. Genau so haben Sie sich ausgedrückt. Warum, glauben Sie, hat er dann beschlossen, sich aufzuhängen, wenn dieses Dorf so großartig ist?«
»Wie gesagt, wer kann die Handlungen eines Verrückten erklären?«, faucht Krugman zurück. »Aber er war eine Ausnahme. Alle sind glücklich hier. Schaut euch doch um und sagt mir, ob ihr nicht überall lächelnde Gesichter seht.«
»Meinen Sie die Smiley-Tattoos auf den Armen der Mädchen?«, fragt Sissy.
»Nun, die meinte ich eigentlich nicht, aber auch darüber können wir sprechen. Die Mädchen tragen ihre Tätowierung mit Stolz, sie lieben es sogar, ihre Verdienstzeichen herumzuzeigen. Sie sind wie Trophäen. So fühlt es sich für sie an. Kerben im Gürtel, die ihren Weg zu ihrem wahr gewordenen Traum markieren, dem Fahrschein in die Zivilisation.«
»Sieht so aus, als wollten alle hier weg«, sagt Sissy.
Eine Kuh im letzten Waggon muht laut.
»Sieht so aus, als würde niemand diesen Ort besonders mögen. Mit all seinen Regeln. Mit …«
»Das reicht«, sagt Krugman.
»… den Älteren, den …«
Rechts von mir bewegt sich etwas. Ein Älterer macht einen Schritt nach vorn und zeigt mit dem Finger auf Sissy. »Sie ist zu weit gegangen! Man sollte sie an die Scha…«
»Schluss jetzt!«, brüllt Krugman so laut, dass ich zusammenzucke. Seine Hängebacken zittern, das behaarte Muttermal hüpft auf seinem bebenden Kinn. Die Älteren um mich herum gehen in Habachtstellung wie ein Muskel, der sich anspannt, wie eine Schlinge, die sich zuzieht. Krugman seufzt schwer, als würde er seinen Ausbruch bereuen. Doch als er die nächsten Worte flüstert, jedes beladen mit einem bedrohlichen Unterton, wird deutlich, dass Bedauern das letzte seiner Gefühle ist.
»Ihr werdet morgen alle in den Zug steigen. Es gibt nichts mehr zu diskutieren.«
»O doch. Es gibt eine Menge zu diskutieren. Aber wir werden es unter uns diskutieren. Nur wir sechs. Komm«, sagt Sissy zu mir. »Wir gehen. Das Gespräch ist beendet.«
»Es ist beendet, wenn wir es euch sagen!«, bellt einer der Älteren mit einem grau melierten Bart.
»Jetzt erkläre ich Ihnen mal was«, sagt Sissy. »Wir gehen jetzt zurück zu unserer Hütte. Und dort wird man uns inRuhe lassen. Wir werden selbst entscheiden, ob wir in diesen Zug steigen oder nicht. Falls wir entscheiden, nicht einzusteigen, machen Sie sich keine Sorgen, wir werden ihr großartiges Dorf trotzdem verlassen. Wir machen uns auf den Weg und werden sehen, was uns erwartet. Aber die Richtung bestimmen wir selbst. Und bis dahin werden wir unsere eigenen Speisen zubereiten und essen.«
»Jetzt hältst du mal einen Moment …«
»Komm, Gene«, sagt Sissy und zieht mich mit sich. »Wir gehen.« Wir treten langsam den Rückzug an. »Wir wollen keine trällernden Chöre, die uns am Morgen mit einem Liedchen wecken. Wir wollen keine Nahrungslieferung von lächelnden Mädchen, die GlühBrenns schwenken …«
»Du bist wirklich ein Früchtchen, weißt du das?«, brüllt Krugman plötzlich mit einer Lautstärke und Bösartigkeit, die vorher nicht da war. Offenbar ist sein Geduldsfaden endgültig gerissen. Es ist, als hätte eine völlig andere Person seinen Körper übernommen.
Einige Mädchen in unserer Nähe tippeln hastig davon.
»Du solltest deinen Platz kennen!« Krugmans Ohren leuchten grellrot. »Siehst du irgendein anderes intelligentes Mädchen,
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