Die Jäger des Roten Mondes
ein philosophisches Seminar. »Kann ein Wesen ohne individuellen Sinn für seine Identität an der Allumfassenden Weisheit teilhaben?«
Dane war froh, über etwas anderes nachdenken zu können als über die bevorstehende Jagd. »Hängt die Weisheit notwendigerweise von einem Sinn für Identität ab?«
»Mir scheint, ja«, sagte Aratak. »Denn Weisheit entfaltet sich, wie ich glaube, wenn eine Kreatur in sich selbst das Individuum sieht und nicht mehr nur den Gruppeninstinkten seines Spezies folgt. Kurz gesagt, wenn jemand aufhört, nur Teil der Allgemeinheit zu sein, und beginnt, sich als besonderes Einzelwesen zu betrachten.«
»Ich bin nicht sicher, ob es darauf ankommt«, sagte Rianna. »Wenn Diener nur Teil einer zentralen Intelligenz ist – würde dann nicht die zentrale Intelligenz, von der Diener ein Teil ist, an der Allumfassenden Weisheit teilhaben? Und wenn er für alle sprechen kann, ist dann nicht jeder beliebige von Dieners Teilen oder Körpern Teil einer solchen Weisheit?«
Aratak sah betrübt aus. »Ich habe Intelligenz immer als einen Sinn für die eigene, einzigartige Individualität definiert. Wie definierst du sie, Rianna?«
»Als die Fähigkeit zur Zeitbindung«, antwortete sie prompt. »Wenn irgendeine Spezies den Punkt erreicht, an dem sie akkumuliertes Wissen an ihre Nachkommenschaft weitergeben kann, so daß nicht jede Generation die Erfahrung der ganzen Rasse wiederholen muß, sondern in der Geschichte fortschreiten kann, dann glaube ich, daß eine Rasse ab diesem Punkt intelligent ist.«
»Hm, vielleicht«, murmelte Aratak und stocherte an seinen enormen Zähnen herum. »Cliff, wie definiert deine Rasse Intelligenz?«
Der Mekhar zögerte nicht. »Als ein Gefühl für den ethischen Ehrbegriff. Wir betrachten jede Rasse ohne einen solchen Ehrbegriff als Tiere und jede Rasse, die ihn entfaltet, als intelligent.« Er verneigte sich vor ihnen und sagte: »Natürlich betrachten wir euch alle so.«
Aratak sagte: »Und ihr, Dallith? Wie definiert deine Rasse Intelligenz?«
»Als Einfühlungsvermögen, würde ich sagen. Ich meine nicht das entwickelte Psi-Talent, sondern die Fähigkeit, sich an die Stelle eines anderen zu versetzen. Vielleicht meine ich einfach Vorstellungskraft. Kein nichtintelligentes Tier hat sie, und jede intelligente Spezies verfügt darüber.«
»Das sind alles sehr gute Antworten«, sagte Aratak. »Dane, von dir haben wir noch nichts gehört, und da du von einem Planeten mit nur einer bekannten intelligenten Spezies kommst: Hat deine Rasse überhaupt ein Konzept dessen entwickelt, was die Intelligenz ausmacht?«
Dane sagte langsam: »Das ist ein ziemlich alltäglicher Gegenstand philosophischer Spekulation. Wir haben zwei oder drei Spezies – Delphine, große Menschenaffen –, die einige, wenn nicht alle Merkmale von Intelligenz besitzen, und manche haben darüber nachgedacht. Einige haben vorgeschlagen, daß die Fähigkeit, Kunst zu erschaffen, der Sinn für Ästhetik, als Kennzeichen der Intelligenz zu werten sei.« In seinen kühnsten Träumen wäre ihm nicht eingefallen, daß er einmal mit einem Echsenmann, zwei Mädchen von fremden Sternen und einem Löwenmenschen beim Essen sitzen und die mögliche Intelligenz eines Roboters diskutieren würde.
Plötzlich war ihm spaßhaft und heiter zumute. »Wahrscheinlich ist das Kennzeichen der Intelligenz«, sagte er, »nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit, sich zu fragen, was das ist; kurz, die Fähigkeit, an Diskussionen über die Weisheit teilzunehmen. Das würde alles einschließen.« Er hob sein Glas, das mit einem schwach bitteren alkoholischen Getränk gefüllt war.
»Ich werde darauf trinken!«
Als die Sonne untergegangen war, wurde der Himmel schnell dunkel, und da es keine künstlichen Beleuchtungen in den Quartieren gab, nur das rötliche Mondlicht, begaben sich die fünf Gefangenen zu ihren Betten. Eine Zeit lang konnte Dane nicht schlafen. Einmal ging er geräuschlos zur Tür und probierte sie aus, nur um sich eine Theorie zu bestätigen. Sie war nicht verschlossen. Aber wohin konnten sie gehen? In jedem Fall würde eine Flucht zum jetzigen Zeitpunkt nur bedeuten, daß die Jäger sie sofort hetzten, nicht erst später. Und später würden sie Waffen haben, das hatte jedenfalls Cliff angedeutet, als er von Waffenkammern sprach.
Auf dem Weg zu seinem Bett kam er an den beiden schlafenden Frauen vorbei. Rianna lag ausgestreckt auf dem Rücken, nackt, nur mit einer dünnen Decke zugedeckt.
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