Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Titel: Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Losbohm
Vom Netzwerk:
mich wie ein Roboter, so wie bei unserem Tänzchen vorher. Da war es irgendwie beruhigend, dass auch er menschliche Gefühlsregungen zeigen konnte. Auch wenn es nur das nervöse Gezappel seiner Beine war.
     

14. Stille Tränen in der Kirche
     
     
     
    In meinem Garten zu sein, war für mich das Beste, und ich versuchte so oft es ging solche Pausen in meinen Terminkalender einzuschieben, der immer mehr und mehr von meinen Trainingseinheiten beherrscht wurde. Pater Michael ließ mich nicht vergessen, wieso ich hier war. Daher überraschte es mich, dass er es war, der eine unserer Verabredungen sausen ließ. Ich hätte nicht gedacht, dass er unter Alzheimer litt, obwohl es in seinem weit, weit, weit, weit, weeeeiiiiiiittttt fortgeschrittenem Alter kein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Normalerweise war er immer schon vor mir in dem Trainingsraum. Aber dieses Mal war ich die Erste.
    Ich sprang vor Freude über meine Pünktlichkeit in den Raum hinein, nur um enttäuscht festzustellen, dass niemand hier war. Ich verzog das Gesicht und bereitete mich, still vor mich hin meckernd, auf die bevorstehende Tortur vor. Als er nach fünfzehn Minuten immer noch nicht da war, fing ich allmählich an, mir Sorgen zu machen. Seufzend zog ich los, um ihn zu suchen. Ich fand ihn aber weder in der Bibliothek, wo er vielleicht über einem dicken Wälzer eingeschlafen war, noch in der Küche, noch in seinem Schlafzimmer. Und auch nicht in seinem Büro. Nun blieb nur noch eine Möglichkeit.
     
    Zielstrebig ging ich zur Bürotür und stand hinter dem Vorhang, der die Sicht in das Mittelschiff der Kirche versperrte. Mit einer Hand schob ich den schweren Stoff beiseite. Abrupt hielt ich in der Bewegung inne, als ich den Pater in der ersten Reihe auf der Holzbank sitzen sah. Seine Augen waren geschlossen, aber Tränen liefen über seine Wangen und seine Lippen flüsterten Worte, die ich nicht hören konnte. Das Ende einer Kette, bestehend aus kleinen dunklen Perlen, baumelte über seinem Handrücken. Langsam bewegte sie sich zwischen seinen Fingern, als er mit ihnen von einer zur anderen wechselte.
    Obwohl er sich immer distanziert mir gegenüber verhielt und mir unschöne Dinge an den Kopf geworfen hatte, die ich unschüchtern wieder zurückgegeben hatte, hatte ich das Bedürfnis zu ihm zu gehen. Ich wollte ihm helfen, für ihn da sein, ihn trösten. Also bewegte ich mich aus meinem Versteck heraus. Aber als Pater Michael den Klang meiner zögerlichen Schritte vernahm, verstummte er und hielt abrupt in seinen Bewegungen inne. Er schlug die Augen auf und fand mich. Sofort blieb ich stehen. Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich zu ihm gehen sollte. Alles an seinem Gesichtsausdruck schrie nahezu vor Schmerz. Seine schwarzen Augen glänzten feucht, aber hinter dem Tränenvorhang wüteten die Bilder von schrecklichen Ereignissen aus seiner Vergangenheit. Ich fragte mich, was er alles hatte mit ansehen müssen? Wie viele Häuser hatte er brennen sehen, in einer Zeit, die so fern meiner Vorstellung lag? Wie viele Menschen hatte er sterben sehen, die von Krankheiten dahingerafft worden waren, die heute als ausgerottet gelten? Wie viel Schmerz hatte sein Herz erschüttert?
    Pater Michael sprach nie über sein Leben vor der Kirche und auch nicht über die Zeit, die er mit den Jägern aus den vergangenen Epochen verbracht hatte. Es sei denn, er konnte mir Geschichten über die Monster erzählen, die ich noch heute jagte und mir Tipps geben. Er ließ nie durchblicken, was in ihm vorging.
    Bei mir war es immer einfach zu wissen, wie es in mir drinnen aussah. Wenn ich fröhlich war, zeigte ich es. Dann sprudelte ich wie ein Wasserfall vor mich hin und machte Witze. Wenn ich traurig war, sprach ich nicht. Ich wurde auch schweigsam, wenn ich krank oder sauer war. Dann hielt ich lieber die Klappe, aus Angst ich könnte jemanden mit meinen ehrlichen Worten verletzen. Ich nahm selbst dann noch Rücksicht auf andere, wenn sie der Grund waren, wieso ich sauer war.
    Pater Michael aber war für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
     
    Etwas in seinen Augen flackerte. Er wandte den Kopf wieder zum Altar und betete weiter. Das war mein Zeichen. Gerade eben hatte ich mich ihm noch so nahe gefühlt und dann wieder so weit von ihm entfernt.
    Wir brauchen doch alle irgendwann einmal jemanden, an den wir uns wenden können; der uns zuhört und tröstet. Aber Pater Michael ließ es nicht zu, dass ihm jemand nahe kam. Er wollte niemanden an sich

Weitere Kostenlose Bücher