Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
irgendwo aussetzen können, aber er wollte nicht als herzlos gelten. Bei der Kirche war er sich sicher, dass sie gut für ihn sorgen würden und seine tote Frau würde sich nicht in ihrem Grabe umdrehen.
Und der Rosenkranz? Der hatte seiner Mutter gehört. Es war das Einzige, was er von ihr noch besaß, und er trug ihn stets unter seiner Soutane. Der Pater wollte ihn immer bei sich wissen und behütete ihn wie einen Schatz. Für ihn war er etwas Heiliges.
Ich lächelte bitter über diese Geschichte, die ich dachte, aber nicht laut aussprach. Ich wollte nicht, dass Mister Meyers ohne das Einverständnis des Paters davon erfuhr.
15. Triumph über Pater Michael
Pater Michael und ich waren sehr gut darin, über Dinge hinwegzusehen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Er vergaß auch nie wieder eine Trainingsstunde und gab sich die größte Mühe, mich nach allen Künsten der sportlichen Folter leiden zu lassen. Ich trainierte hart, härter, am Härtesten. Ich hatte zahllose Krämpfe, die viele meiner Nächte begleiteten. Aber irgendwann ließen sie nach und die ersten Erfolge stellten sich ein. Ich hatte eine bessere Ausdauer und lief lässig eine halbe Stunde auf dem blöden Laufband. Natürlich bauten wir auch meine Muskeln auf. Ich trainierte an einer Maschine, musste Klimmzüge an einer Stange machen und hüpfte wie ein Frosch um den Pater herum, damit die Beinmuskulatur gestärkt wurde. Ich lernte auch endlich mit verschiedenen Waffen umzugehen, und er lehrte mich auch etwas Karate, was mir besonders Spaß machte, weil ich dabei den Pater verdreschen konnte, der sich großzügiger Weise zur Verfügung gestellt hatte. Es ist unnötig zu sagen, dass meine Klapse ihn auch nicht nur ansatzweise berührten. Aber gut, der Gedanke daran, die Möglichkeit zu haben, war einfach himmlisch! Seufz.
Nach weiteren zwei Monaten hatte ich viel gelernt und geübt und siehe da. Eines schönen Tages landete ich einen Treffer mit meinem Fuß auf Pater Michaels Brust und stieß ihn so fest weg, dass er nach hinten taumelte. Ja!! Juchuh!!
Wir glotzten uns beide verblüfft an. Und dann brach es aus mir heraus. Ich riss die Arme hoch, sprang im Kreis herum und führte einen Freudentanz auf. Ich war so glücklich über meinen Fußtritt. Ich freute mich wie ein Kullerkeks! Pater Michael ließ mich meinen Triumph aber nur kurz genießen. Und während er an seiner Kirchenkleidung herum zupfte, damit auch jede Falte an der richtigen Stelle saß - schließlich konnte er Unordnung nicht leiden! -, sagte er tonlos, „Freuen Sie sich nicht zu früh, Miss Ada! Sie sind immer noch weit davon entfernt, auf die Straße gehen zu können!“
Oller Miesepeter! Konnte er mich nicht mal loben?
Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, hatte immer auf ihn gehört und sogar darauf geachtet, keine Schimpfwörter zu benutzen. Naja, meistens jedenfalls.
„Stopp. Ich habe eine Frage,“ unterbrach mich der Reporter. „Was passiert eigentlich in der Zwischenzeit, wenn es keine Jägerin gibt? Was geschieht während Ihrer Ausbildung?“
„Der letzte Jäger starb vor etwa achtundzwanzig Jahren. Es sind meistens Männer, wissen Sie,“ erklärte ich ihm. „Aber nun bin ich hier.“
„Okay, wow! Das ist eine ganz schön lange Zeitspanne!“, stellte Mister Meyers fest.
Ich nickte zustimmend und erklärte ihm: „Es kommt nicht oft vor, dass solch eine lange Zeit vergeht, bis der nächste Jäger seine Aufgabe annimmt. Im Durchschnitt bleiben die Jäger in ihrem „Amt“ bis sie etwa fünfundsechzig Jahre alt sind. Im günstigsten Fall vergehen somit „nur“ etwa sechs Jahre, in denen es keinen Jäger gibt und Pater Michael sich von früh bis spät um seine Gemeinde kümmert. Aber gelegentlich kam es vor, dass Jäger früh gestorben sind, weil sie entweder krank oder auf der Jagd getötet wurden. Mein Vorgänger Richard starb zum Beispiel im Alter von dreiundvierzig. Das ist jetzt achtundzwanzig Jahre her.“
„Bis fünfundsechzig? Wie halten die das so lange durch?“, hakte mein Gegenüber nach.
Ich schmunzelte über sein erstauntes Gesicht. „Ein Faktor dürfte sein, dass alle Jäger gut trainiert sind und deshalb so lange durchhalten. Aber am bedeutendsten sind wohl eher die „Jäger-Gene“,“ erklärte ich ihm und malte Gänsefüßchen in die Luft.
Verwirrt blinzelnd blickte Mister Meyers mich an.
„Die Gene der Jäger sind anders, als die der anderen Menschen. Eine Besonderheit in ihnen lässt uns mit den Strapazen
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