Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
heranlassen. Und es verwirrte mich, dass er sich mir entzog, sobald ich eine helfende Hand nach ihm ausstreckte.
Ich starrte ihn noch einen Moment lang an, wie er mit geschlossenen Augen vor sich hinmurmelte. Dann verkroch ich mich wieder unter die Erde zurück.
Ich hatte mich dazu entschlossen, mein Training allein zu absolvieren. Ich konnte nicht viele Übungen machen. Soweit waren wir noch nicht. Daher verbrachte ich einige Zeit damit, wie eine Bekloppte auf den Sandsack einzudreschen und ein bisschen Seil zu springen, wobei ich mich an die Schulzeit erinnerte, wo ich mit meinen kleinen Freundinnen viel Zeit mit der gleichen Aufgabe verbracht hatte. Ich versuchte mich auch an Pfeil und Bogen. Aber ich konnte noch nicht einmal die Sehne spannen.
Das alles machte ohne Pater Michaels fiese Antreibungssprüche nur halb so viel Spaß. Also schwang ich mich schon nach einer kurzen Zeit aufs Laufband, um langsam und entspannt zu laufen. Nach zehn Minuten stellte ich das Band ab und sprang herunter. Mit einem Handtuch wischte ich mir über das verschwitzte Gesicht. „Mhh, ich müffele bestimmt wie ein Ochse,“ dachte ich gerade, als sich die Tür hinter mir öffnete. Erschrocken wirbelte ich herum und entdeckte den Pater, wie er im Türrahmen stand und mich beobachtete. Wir starrten uns eine Weile wortlos an.
Ich entdeckte die Kette um seinen Hals, die zuvor in seinen Händen gelegen hatte. Nur dass man jetzt das Kreuz sehen konnte, das er festgehalten hatte. Es war also ein Rosenkranz.
„Was wollten Sie vorhin von mir, Miss Ada?”, fragte er schließlich.
Ich blinzelte ihn an und überlegte, was er meinte. „Ach so, ja,” fiel es mir wieder ein, „wir waren doch zu einer Trainingsstunde verabredet, und Sie kamen nicht. Da hatte ich mich gefragt, wo Sie steckten und wollte Sie holen.“
Pater Michael dachte angestrengt nach. „Oh ja, richtig,“ erinnerte er sich jetzt wieder. „Entschuldigen Sie bitte, Miss Ada. Das hatte ich völlig vergessen,“ bedauerte er seinen Fehler. Er klang immer noch abwesend.
Ich zuckte mit den Schultern. „Kein Problem,“ meinte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Es war auch nicht schlimm gewesen, dass er unser Date vergessen hatte. Für mich war die Erinnerung, wie er weinend in der Kirche gesessen hatte, wesentlich schlimmer. Aber da ich wusste, dass er nicht darüber reden wollte, jedenfalls nicht mit mir, fragte ich ihn auch nicht danach, was ihn so traurig gemacht hatte. Ich warf mir das schweißnasse Handtuch über die Schulter und lief zur Tür. Als ich vor ihm stand, fiel mein Blick wieder auf das Kreuz, das auf seiner Brust ruhte. Es war aus Holz. Ebenso wie die großen und kleinen Perlen. „Der Rosenkranz muss schon alt sein,“ dachte ich. Denn ich sah, wie abgegriffen er war und hier und da waren Kerben in dem Holz.
Plötzlich erschien Pater Michaels Hand in meinem Blickfeld, als diese sich beschützend über das Kruzifix legte, als wollte er nicht, dass ich es sah. Verwundert blickte ich zu ihm auf, aber er verzog keine Miene. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Ehrlich, ist kaum der Rede wert, Pater. So was passiert nun mal. Ich habe ein wenig allein trainiert. Es ging ganz gut. Aber jetzt brauche ich eine Dusche,“ meinte ich und drängelte mich an ihm vorbei aus dem Raum.
„Haben Sie irgendwann herausbekommen, was mit ihm war?“, fragte mich der Reporter neugierig.
Ich nickte. „Hmmmm, ja,“ machte ich und blickte traurig zu Boden, als ich mich daran erinnerte, was mir der Pater anvertraut hatte.
Pater Michael war gerade erst acht Jahre alt gewesen, als er mit hatte ansehen müssen, wie seine Mutter von Räubern und Plünderern ermordet worden war, die sein Elternhaus überfielen. Sie hatte ihn in ein Versteck unter den Fußbodenbrettern gepackt, damit er nicht gefunden werden konnte. Als das passierte, war sein Vater nicht zu Hause gewesen. Er war am Morgen in die Stadt gefahren, um dort auf einem Markt ihre Wolle zu verkaufen. Als der Vater zurückgekehrt war und das Unglück sah, gab er seinem Sohn die Schuld am Tod der Frau. Er machte ihm Vorwürfe, sagte, er hätte seine Mutter besser beschützen müssen, nannte ihn einen Feigling und einen Weichling, weil er sich versteckt hatte wie ein kleines Mädchen. Dabei war es die Mutter gewesen, die ihren Sohn versteckt hatte, um ihn zu beschützen. Der Vater konnte den Anblick des Jungen nicht mehr ertragen, daher gab er ihn in die Hände der Kirche. Er hätte ihn auch einfach
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