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Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Titel: Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Losbohm
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spielte mit den dunklen, seidig weichen Strähnen seiner Haare. „Du brauchst keine Angst zu haben, Michael. Du kannst beruhigt die Augen schließen. Ich wache heute Nacht über dich,“ flüsterte ich ihm zu. Ich hörte, wie er leise seufzte. „Und wenn du morgen früh aufwachst, werde ich da sein. Ich werde immer da sein,“ sagte ich und legte einen Kuss auf seinen Kopf. Wenig später verlangsamte sich seine Atmung und jeder Zug, den er tat, war im Einklang mit meinem Herzen. Heute war ich es, die ihn hielt und auf ihn aufpasste.

33. Narben der Vergangenheit
     
     
     
    Behutsam strichen meine Fingerspitzen über die Haut seines Rückens. An manchen Stellen war sie glatt. Aber hier und da spürte ich raues und vernarbtes Gewebe. All die Jahre hatten es nicht glätten können. Pater Michael schlief seelenruhig in meinen Armen, während ich mich an den Moment erinnerte, als ich die Narben auf seinem Rücken bei unserer ersten gemeinsamen Nacht erblickt hatte. Es waren die Narben, die ihm in der Zeit nach dem Tod seiner Mutter zugefügt worden waren und aus der Hand eines Mönchs stammten. Vorsichtig richtete ich mich etwas auf, um einen Blick auf sie zu erhaschen. In dem gelben Licht der Lampen in meinem Schlafzimmer waren sie nur harmlose dunkle Striche, aber sie zu fühlen, verriet, wie tief und schmerzhaft die Wunden gewesen sein mussten. Ich seufzte leise. Mein Gesicht verzog sich voller Schmerz, als die Erinnerung an die Geschichte hochkam, die mir der Pater damals erzählt hatte, nachdem ich seine nackte Haut zum ersten Mal gesehen hatte.
     
    „Die Tage in dem Kloster begannen früh, meist schon vor Morgengrauen, und dauerten bis in die späte Nacht hinein. Manchmal bekam ich nur drei Stunden Schlaf und musste dennoch am nächsten Tag wohlauf sein. Ich war nicht der einzige Schüler dort. Wir mussten hart arbeiten. Wir halfen auf den Feldern, in der Küche oder in der Bibliothek. Es war egal, welches Wetter herrschte. Wir mussten bei Wind und Regen, Schnee und Eis im Klostergarten arbeiten,“ sagte er und ein Frösteln durchfuhr ihn, als er davon berichtete.
    Ich legte einen Arm um ihn, damit es ihm etwas Wärme spendete.
    „Neben diesen Aufgaben mussten wir unsere Studien bewältigen. Am Anfang fiel es mir sehr schwer. Ich trauerte um meine Mutter, die ich in meinen Träumen jede Nacht erneut sterben sah. Die Bilder von jenem Tage brachten mich beinahe um den Verstand und raubten mir den Schlaf. Am Tage war ich dementsprechend erschöpft und konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ich schaffte meine Arbeit nur mit Mühe und an die Studien war erst gar nicht zu denken. Unser Lehrer verzieh uns unsere Nachlässigkeit nicht und bestrafte uns. Wer seine Aufgaben nicht schaffte, wer faul war…wer schwach war, musste mit Bestrafung rechnen. Auch ich bekam die Peitsche zu spüren. Mehr als einmal.“ Sein Ton klang verbittert und wütend, als er sich an den Mann zurückerinnerte, der ihm diese Misshandlungen zugefügt hatte. „Manchmal kann ich die Schreie der anderen Jungen noch heute hören und ihr Flehen um Gnade. Aber niemand hatte sie erhört.“
    Bei seinen Worten schnürte sich mir die Kehle zu. Es erschütterte mich zutiefst. Ich fragte mich, welche Sitten damals geherrscht haben mussten, wenn nicht einmal die Mönche vor Gewalt Halt gemacht hatten. Und wie war es heute? Hatte sich an den Vorgängen hinter den wohl behüteten Kirchenmauern etwas geändert?
     
    Es war furchtbar davon zu hören. Ich wollte ihm so gern tröstende Worte zuflüstern, aber ich wusste nicht was. Welche Worte konnten bei solch einer grausamen Erinnerung schon helfen? Doch dass er dies alles mit mir endlich teilte, verriet mir, dass sein Vertrauen zu mir wuchs.
    „Ich wollte weglaufen, fliehen. Aber wo sollte ich hin, und was sollte aus mir werden? Zu meinem Vater konnte ich nicht zurück. Und ich wollte es auch nicht. In mir lebte noch ein letzter Funke Stolz, der mich davon abhielt, vor ihm zu betteln. Irgendwann sah ich etwas Gutes in dem Ort, an dem ich war. Dort bot sich mir eine Möglichkeit, aus meinem Leben etwas zu machen. Ich konnte es zu etwas bringen, um meinem Vater zu beweisen, dass ich doch nicht so ein Weichling war, wie er mir einst gesagt hatte. Aber mehr noch wollte ich mir selbst beweisen, dass ich stark genug war, um in dieser Welt zu bestehen. Also hielt ich durch. In der Dunkelheit meines Verlies artigen Zimmers weinte ich, während meine Wunden verheilten und mein Wille sich neu erschuf. Zuerst

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