Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
geschmückt war.
Als das Silber flüssig war, glänzte seine Oberfläche wie ein Spiegel. Ich gab dem Pater ein Zeichen, und er nahm mir den Keramiktiegel ab. Zielstrebig lief er damit zum Labortisch und begann, die Gussformen damit zu füllen. Pater Michael war in dieser Sache schon ein alter Hase. Er brauchte nicht lange für diese Aufgabe und schon bald hatten wir eine schöne große Anzahl an Silberkugeln auf Vorrat. Ihre Zeit würde schon noch kommen, wo sie ihre Bestimmung erfüllen würden. Zufrieden besahen wir uns unser Werk und lächelten einander an. Und in dem grellen Licht der Laborlampen sah ich wieder das wunderschöne Farbenspiel in seinen Augen.
Am Abend bevor es Zeit fürs Bett wurde, saßen wir in der Bibliothek. Pater Michael las in einer theologischen Zeitschrift. Auf dem Tisch neben ihm stand noch der Teller, auf dem nur noch ein paar dunkle Krümel von dem Schokoladenkuchen lagen, den ich gebacken hatte. Als ich ihn dabei beobachtete, wie er den weißen Puderzucker mit den befeuchteten Fingerspitzen aufnahm und genüsslich ableckte, musste ich lächeln und war froh, dass es ihm geschmeckt hatte. Während er in völliger Konzentration weiterlas, sah ich mir die Aufzeichnungen meiner Vorgänger an. Da ich diese aber schon kannte, las ich nur mit halbem Interesse. Meine Gedanken kreisten sowieso um ein anderes Thema. Ich überlegte schon seit geschlagenen zehn Minuten, wie ich mich beim Pater zur Nacht verabschieden sollte. Normalerweise ist das etwas, was man einfach tut und nicht ewig lange drüber nachdenkt. Eben ohne großes Federlesen. Aber ich? Ich zerbrach mir über so eine Kleinigkeit den Kopf. Sollte ich zu ihm gehen und ihm einfach einen Gute-Nacht-Kuss geben? Oder doch nur eine Umarmung? Grrr! Ich muss diese Unsicherheit, die ich wegen Pater Michaels Position habe, echt ablegen! Ada, du bist einfach furchtbar! Mir fielen schon langsam die Augen zu. Also musste ich mich bald entscheiden, wenn ich nicht vor Müdigkeit aus dem Sessel kippen wollte.
Ich legte meinen Lesestoff beiseite und stand auf. Ich ging hinüber zum Pater. Er blickte auf, als er mich bemerkte. „Ich bin müde. Ich gehe ins Bett,“ verkündete ich.
Pater Michael lächelte und nickte.
Kurz entschlossen beugte ich mich zu ihm hinunter, küsste ihn und sagte: „Gute Nacht, Michael.“ Ein seltsamer warmer Schauer durchlief mich, als ich ihn zum ersten Mal einfach bei seinem Vornamen nannte, ohne seinen Titel zu verwenden.
„Gute Nacht, Ada,“ sagte er im sanften Ton und lächelte.
Ich lächelte zurück. Na siehste! War doch gar nicht so schwer.
Als ich schließlich mit meinem Betthupferl im Bett lag und genüsslich aß, ließ ich das Licht noch eine Weile brennen. In meinem Kopf herrschte ein riesengroßes Durcheinander, das mich nicht zur Ruhe kommen lassen wollte. Irgendwann hörte ich Pater Michaels Schritte im Flur, als auch er zu Bett ging. Mir blieb fast das Herz stehen, als es an meine Tür klopfte. Ich schluckte den Bissen von meiner Gewürzgurke mit Schokocreme hinunter und sah zu, wie er den Kopf ins Zimmer hineinreckte. „Ich sah das Licht brennen. Kannst du nicht einschlafen?“
„Ich bin zwar müde, aber meine Gedanken hören nicht auf zu kreisen,“ sagte ich ehrlich. Pater Michael sah darüber nicht begeistert aus. Er trat ins Zimmer und kam zu mir hinüber. „Worüber machst du dir Sorgen?“, wollte er wissen und setzte sich auf die Bettkante.
Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Kindheit, als mein Großvater des Nachts zu mir gekommen war, um zu fragen, welches Monster im Schrank denn heute steckte. Ich schüttelte den Kopf. „Ich mache mir keine Sorgen. Ich muss nur an dich denken.“
Er sah mich überrascht an. „An mich?“, fragte er.
Ich nickte und tunkte die Gurke erneut in die Schokolade. Pater Michael sagte nichts zu meiner Geschmacksverirrung. Er kannte das bereits. „An dich und unser Gespräch und an unsere gemeinsamen Nächte.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich die letzten Worte ausgesprochen hatte und biss von meinem Snack ab. Als ich sah, wie Pater Michael mich nachdenklich beobachtete, wurde ich schon wieder rot wie eine Tomate. Man, wieso muss mir das nur immer vor seinen Augen passieren?
Er verstand ziemlich schnell, was vor sich ging. Er las mich wie ein offenes Buch. Er gab ein leises „Oh“ von sich und betrachtete mich prüfend. „Möchtest du, dass ich hier bleibe?“, fragte er. Seine Stimme war merkwürdig rau
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