Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
hatte ich gedacht, dass die Strenge und Härte, mit der sie uns antrieben, reine Schikane sein sollte, aber ab einem bestimmten Punkt sah ich einen Sinn dahinter. Schließlich haben mir diese Dinge geholfen, mein Ziel zu erreichen. Und noch mehr. Ich schloss meine Ausbildung als bester Schüler ab, und ich wurde auserwählt für die Aufgabe, die mich noch heute hier hält. Sie hatten mich während meiner Zeit in dem Kloster stets beobachtet und traten eines Tages an mich heran und offenbarten mir das Geheimnis unserer Welt. Ich war genauso erstaunt darüber wie jeder andere auch und glaubte zunächst, dass es ein Märchen sei. Aber ich ließ mich eines Besseren belehren. Ich erkannte, wie es tatsächlich um die Welt und die Menschen darin stand. Für mich war schnell klar, dass ich helfen wollte. Nun da ich Bescheid wusste, konnte ich die Augen nicht mehr davor verschließen. Ich musste es einfach tun. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich dazu verpflichtet. Ich war entschlossen und ehrgeizig genug, um mein altes Leben aufzugeben und in den Dienst der Kirche zu treten. Ich fing wieder an zu studieren. Nur dieses Mal waren es die Geschichten, die geheim waren und an die niemand glauben wollte. Ich lernte all die Dinge, die auch du gelernt hast, Ada,“ sagte er und sah mich eindringlich an. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann wurde er wieder ernst und blickte auf den Teppichboden vor unseren Füßen. „Ich lernte die Monster kennen und begann mit dem Kampftraining. Ich lernte, wie ich mich mit meinen Händen verteidigen musste. Ich übte mit dem Schwert zu kämpfen und mit Pfeil und Bogen umzugehen. Als ich soweit war, bekam ich meinen ersten Schützling zugeteilt. In den ersten Jahren reisten wir durch etliche fremde Länder, lebten in den verschiedensten Kulturen und zogen noch gemeinsam durch die Nächte, und ich half bei der Jagd. Zu zweit waren wir so unschlagbar wie ein ganzes Heer. Auch der Kirche entging mein Erfolg nicht, und sie stellten mir die große Frage, weil ich der Beste war, von dem sie je gehört hatten,“ erklärte er, während er immer noch auf den Fußboden starrte und dort etwas sah, das ich nicht erkennen konnte. Vielleicht waren es die Bilder von damals, die sich ihm dort zeigten wie ein Film.
Ich jedenfalls stellte mir vor, wie Männer in Kapuzenmänteln vor ihm standen und auf ihn mit ihren tiefen Stimmen leise flüsternd einsprachen.
„Das Reisen hatte ein Ende, und ich ließ mich hier nieder.“ Plötzlich wandte er seinen Kopf mir zu und sah mich eindringlich an. Ein Schauer durchfuhr mich von Kopf bis Fuß bei seinen folgenden Worten. „Ich war einunddreißig Jahre alt, als ich mich dazu entschied, meine Lebenskraft an die Kirche zu binden. Für immer.“
„Hast du dich denn niemals einsam gefühlt in all den Jahren?“, hatte ich ihn damals gefragt.
Er hatte lange darüber nachgedacht und dann geantwortet: „Es kam vor, dass ich mich einsam fühlte, ja. Es gab teilweise mehrere Jahre, in denen niemand außer mir hier lebte. So wie in der Zeit vor deiner Ankunft. Ich lebte ganze achtundzwanzig Jahre allein hier.“
„Achtundzwanzig Jahre?“, hatte ich ungläubig gefragt und ihn erschrocken angesehen. „Mhh,“ hatte er gemacht und war für eine Weile verstummt, in der er vermutlich darüber nachdachte, wie er diese lange Zeit hinter sich gebracht hatte. „Ich hatte meine Aufgaben, die ich erledigen musste,“ begann er dann zu sagen, „schließlich habe ich eine Gemeinde, um die ich mich kümmern muss. Es gab immer etwas zu tun; zu organisieren. Nur die Zeit nach einem Gottesdienst oder Essen mit den Mitgliedern war für mich schwer. Dann fiel ich gelegentlich in ein tiefes Loch der Einsamkeit. Die Zeit verging dann wie in Zeitlupe. Auch nach mehreren Jahrhunderten habe ich mich daran nie gewöhnen können. Manche würden es vielleicht einen Fluch nennen, aber für mich ist es trotz alldem eine Ehre. Es ist meistens sehr befriedigend, aber oft auch ein einsames Leben. Aber irgendwer muss es ja tun.“ Als er den Satz zu Ende gesprochen hatte, sah er mich an, lächelte und zwinkerte mir zu.
„Aber macht es dich nicht traurig, mit anzusehen, wie die Menschen, mit denen du zusammengelebt hast, denen du ein Lehrer und auch Freund warst, sterben?“, fragte ich dann. Ich stellte mir vor, dass es schwer sein musste, immer wieder das Gleiche zu erleben, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen. Pater Michael schien es aber anders zu
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