Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
sehen.
„Das ist der Kreislauf des Lebens, Ada. Der Tod gehört zum Leben ebenso wie die Geburt. Es ist ein natürlicher Vorgang.“
Meiner Meinung nach war das eine sehr trockene Ansicht der Dinge, aber vielleicht wird man auch so mit den Jahren und legt sich ein dickes Fell zu.
„Hast du es je bereut?“, wollte ich daraufhin von ihm wissen.
Umgehend hatte er mit dem Kopf geschüttelt. „Nein, es ist etwas Gutes und etwas woran ich glaube und von überzeugt bin,“ hatte er mir geantwortet. Allerdings hatte er damals überlegt und dann hinzugefügt, dass er es nur dann bereuen würde, wenn er tatenlos herumstehen und warten musste, während Menschen, die ihm viel bedeuteten, Nacht für Nacht ihr Leben aufs Spiel setzten und für diese große Sache kämpften. Dabei hatte er mich so eindringlich angesehen, sodass mich die Intensität wie ein Stromschlag erwischt und jeden Teil meines Körpers zum Prickeln gebracht hatte.
Ich lächelte bei dem Gedanken an diesen Moment, als er mir zum ersten Mal nach all den Jahren, in denen wir schon zusammengelebt hatten, soviel Einblick in seine Seele gestattet hatte. Ich schloss meine Arme fester um ihn und küsste Pater Michael sanft auf den Kopf. Dann sank auch ich endlich in den Schlaf.
34. Ich zähle nicht zur Kategorie „normalerweise“
Dieses Mal erwachte ich am nächsten Morgen nicht allein. Und ich war froh darüber, Pater Michaels Gesicht neben mir zu sehen. Es war ein Stück weit Normalität, in der wir uns befanden. Und es war schön, sich so „gewöhnlich“ zu fühlen. Und an Stelle eines gesprochenen Grußes gab er mir einen Kuss, als er sah, dass ich wach war. Ich rutschte ein Stück hinüber und drängte mich in seine Arme, um noch etwas von seiner Wärme zu stehlen.
„Ada?“, fragte er leise.
Oh oh! Sein ernster Tonfall verhieß nichts Gutes. Und das, obwohl es doch gerade so gut angefangen hatte! Ich kniff die Augen zusammen und dachte fest daran, dass Pater Michael bitte nicht weitersprechen möge.
„Ich habe gestern mit einem befreundeten Arzt telefoniert.“
So ein Mist! Mein stiller Wunsch war nicht in Erfüllung gegangen.
„Wieso denn das? Bist du etwa krank?“, nuschelte ich gegen seine Brust.
Ein Lachen rollte durch ihn hindurch. Es klang ganz merkwürdig, als ich so an ihn gelehnt dalag. „Ich werde nicht krank, Ada. Das weißt du doch,“ antwortete er mir nachsichtig, als würde er es einem kleinen Kind erklären.
Ich nickte.
„Es ging dabei nicht um mich. Es ging um dich,“ hörte ich ihn sagen und schlug sofort die Augen auf. Meine Ada-Sensoren für Dinge-die-ich-nicht-will waren voll ausgefahren. Ich setzte mich auf und sah Pater Michael mit gerunzelter Stirn an.
„Schwangere Frauen müssen normalerweise regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen, Ada,“ erklärte er mir und sah mich auf eine Weise an, die sagte „Das weiß man doch“.
Ich wusste das nicht! Ich war ja noch nie schwanger gewesen! Und ich hatte mich noch nie mit solchen Dingen befasst. Ich hatte nicht mal geplant, Mutter zu werden! Woher sollte ich so was also wissen? „Die Betonung liegt hier bei „normalerweise“. Ich zähle aber nicht zu dieser Kategorie. Schon vergessen?“, erwiderte ich und sah ihn bockig an.
„Natürlich kannst du nicht einfach in eine Praxis hineinmarschieren. Wir wissen beide aus welchen Gründen. Aber es wäre trotzdem vernünftig, wenn dich ein Arzt untersuchen würde,“ sagte der Pater und tätschelte mir den Rücken wie bei einem Kleinkind.
Missbilligend verzog ich das Gesicht. Ich mochte keine Ärzte. In den Jahren vor meiner neuen Berufung hatte ich definitiv zu viel Zeit in Wartezimmern verbracht. Das reichte bis ins nächste Leben!
„Du möchtest doch bestimmt sichergehen, dass das Baby gesund ist, oder?“, holte mich der Pater aus meinen trüben Gedanken hervor.
Ich richtete meinen Blick wieder auf ihn. Dachte er etwa, dass mit dem Kind etwas nicht stimmte? Hatte er eine Vorahnung? Wusste er mit seinen jahrhundertealten, überirdischen Sinnen mehr als ich? „Wie kommst du denn darauf, dass etwas nicht stimmen könnte? Meinst du vielleicht, man sieht auf dem Ultraschallbild bei dem Kind so etwas wie vier Arme und nur ein einzelnes, großes Auge auf der Stirn?“, fragte ich ihn entgeistert. Ich konnte meine Aufgebrachtheit nicht verbergen. Er hatte mich total verunsichert. Und er merkte sofort, dass er mir Angst eingejagt hatte.
Pater Michael setzte sich ebenfalls auf und umfasste mein
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