Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
Hand zurück, die sich ihm genähert hatte. Ich biss mir auf die Unterlippe.
„Ich bin wirklich, Ada,“ flüsterte Pater Michael, der meine Ängste offenbar erkannt hatte. Ich sah ihn lange an und dachte nach. Ja, er stand hier vor mir, aber eigentlich hätte er das gar nicht gedurft. Er war hunderte und hunderte von Jahre alt, und trotzdem sah sein Gesicht nicht älter aus als dreißig, und es sah mich traurig und sehnsüchtig zugleich an. Ich hob erneut meine Hand und streckte sie nach seinem Kopf aus. Zum ersten Mal fuhr ich mit meinen Fingern durch seine Haare und spürte ihre Weichheit, die mich sanft kitzelte. Ich wanderte zu seinem Gesicht und ließ meine Fingerkuppen über jede Kontur streichen. Angefangen bei den dunklen Augenbrauen, zu den wie gemeißelten Wangenknochen, über die feine Nase, bis zu den sanft geschwungenen Lippen. „Du bist so schön,“ flüsterte ich, während ich seine Unterlippe mit meinem Daumen erkundete, um ihre Weichheit zu spüren, die schon ihr bloßer Anblick versprach. Unter meinen Fingern spürte ich, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzog. Ich wusste ja, dass man Männer nicht als „schön“ bezeichnet. Männer waren attraktiv, aber nicht schön. Aber Pater Michael war es. Er war schön. „So schön wie ein Engel,“ sagte ich bewundernd und bestaunte sein Antlitz.
„Ich bin kein Engel, Ada,“ erwiderte er in einem bitteren Ton und nahm meine Hand von seinem Gesicht. „Gott weiß, dass ich weit davon entfernt bin, einer zu sein.“
Nachdenklich musterte ich ihn. Gott mochte zwar wissen, dass Pater Michael nicht perfekt war, aber er bedeutete ihm trotzdem genug, um ihn nahezu unsterblich zu machen, damit er einer höheren Aufgabe dienen konnte. Ich entzog ihm meine Hand, die er festhielt, und berührte ihn erneut. „Für mich bist du ein Engel. Mein Engel. Und mit dir zusammen, möchte ich die Grenze überschreiten,“ sagte ich leise. Ich bettete seine Wange in meiner Hand und spürte Wärme. Bei dieser Entdeckung musste ich lächeln. Meine Hand wanderte zu seinem Hals und verharrte dort für einen Moment, um den Pulsschlag unter seiner Haut zu spüren. Erleichtert atmete ich aus. Ich glaube, wenn ich in dem Moment nichts gefühlt hätte, wäre ich schreiend davon gerannt.
Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich den Pater mit mir zog und ihn in mein Schlafzimmer führte. In jenem Moment tauschten wir die Rollen. Ich wurde zu seiner Lehrerin und er zu meinem Schüler. Ich war nervös und machte mir darüber Sorgen, ob ihm gefallen würde, was er jeden Moment vor sich sehen würde. Mein Körper war nicht perfekt. Er hatte sich zwar sehr zum Positiven verändert, aber jede Frau findet doch immer etwas an sich, das ihr nicht gefällt und wenn ich in den Spiegel sah, sah ich immer noch die übergewichtige, unsportliche, ungeschickte und wenig attraktive Frau, die ich immer gewesen war, während der Padre voller Anmut und Schönheit steckte, die mich dazu brachte, mich verstecken zu wollen. So sehr schüchterte mich seine Perfektion ein. Aber so wie er vor mir saß und mich ganz gespannt auf das, was geschehen würde, anblickte, nahm es mir meine Unsicherheit. Doch meine Nervosität war nichts im Vergleich zu Pater Michaels. Er war schüchtern und seine Wangen färbten sich rot, als ich mich für ihn auszog. Seine Augen leuchteten wie die eines kleinen Jungen, der ein besonders tolles Geschenk auspackte. Seine Hände zitterten, als er mich berührte. Ich war mir nicht sicher, ob es vor Nervosität oder Angst war. Doch es gab nichts, vor dem er sich hätte fürchten müssen. Weder vor der Unerfahrenheit noch unserer Nacktheit. Als ich es bemerkte, strich ich ihm beruhigend über die Wange und flüsterte: „Hab keine Angst. Es ist okay, Michael.“ In diesem Moment sagte ich es nicht nur ihm, sondern versuchte auch mich selbst damit zu beruhigen.
Er hielt in seiner zaghaften Liebkosung inne und sah mir in die Augen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, und er nickte kaum merklich. „Ich habe keine Angst. Du bist ja bei mir,“ flüsterte er, während eine Träne des Glücks aus seinem Augenwinkel rann.
„Das erste Mal für den Pater, mhh?“, unterbrach mich der Reporter.
Ich nickte.
„Und wie war’s?“, fragte er mich völlig ungeniert und wackelte mit den Augenbrauen.
Ich sagte nichts, aber bei der Erinnerung daran, wie vorsichtig mich der Pater damals berührt hatte, wurde mir wohlig warm. Zu oft hatte er mich schon zu grob angefasst. Aber
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