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Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Titel: Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Losbohm
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immer noch sanft und verträumt.
     
    Als ich ihm aber am nächsten Tag begegnete, war er wieder distanziert und gefühlskalt zu mir, sodass ich mir sagte, dass ich es mir in der Nacht nur eingebildet haben musste. Solche Augenblicke gab es häufiger, und sie verwirrten mich jedes Mal. Er konnte mir auch minutenlang in die Augen blicken und dabei kein einziges Wort sagen. Diese Momente jagten mir ein Kribbeln durch den gesamten Körper. Es war kein gutes Kribbeln, aber ein schlechtes war es auch nicht. Es kam mir dann nur so vor, als würde er in meinen Augen nach etwas suchen. Etwas, das er kannte und das ihm gefiel. Als wäre da etwas, was ihn mit mir verband, aber schon lange Zeit zurücklag. Wenn er es tat, brachte es mich durcheinander. Ich traute mich nicht, mich wegzudrehen oder nur zu blinzeln. Also hatte ich mich immer nur ruhig verhalten und ihm diese Macke gelassen. Nach einer Weile hatte er dann meistens den Kopf geschüttelt, mich mit einem Stirnrunzeln angesehen und den Blick abgewandt. Und ich stand ratlos da und wusste wieder nicht, was ich für ihn war. Und wenn es doch so sein sollte, dass er sich nach mir sehnte, dann war es sicherlich nur etwas Körperliches. Die Nähe einer Frau, die die Kurven an genau den richtigen Stellen hatte, war für ihn eine enorme Versuchung. Wie die Sache mit der verbotenen Frucht. Alles was verboten ist, übt einen noch größeren Reiz aus, und ich war für ihn verboten. Noch dazu sah ich aus wie die Frau, die er schon vor zweihundert Jahren geliebt hatte und noch immer liebte. Aber heute, im Jahre 2011, war ich mir sicher, dass es nicht um Liebe ging. Allerdings hatte ich mich in dieser Annahme getäuscht.
     
    Ich hatte früher nie Interesse an der Teilnahme an einer kirchlichen Veranstaltung gezeigt. Hauptsächlich aus dem Grund, weil ich nachts immer in den Straßen unterwegs gewesen war. Aber ich musste auch mal wieder unter Menschen und wollte mich endlich mit jemand anderem unterhalten als dem Pater. Also bot ich ihm meine Hilfe an, bei einem Seniorenabendessen zu helfen. Ich war froh darüber, dass er es mir erlaubte. Es war mir ja nicht gestattet unter Menschen zu gehen, weil alle Welt meine Todesanzeige gelesen hatte. Aber da die Gemeindemitglieder alle eingeweiht waren, konnte ich mich bei Veranstaltungen innerhalb der Kirche frei bewegen, worüber ich mich sehr freute. Ich traf auch Mister Hawk wieder, und plötzlich kam er mir nicht mehr eigenartig vor. Er war ein richtig lieber alter Mann, der mich oft anlächelte und mir Komplimente zu meinem dunkelblauen Kleid machte, das ich für diesen Tag extra vom Pater hatte organisieren lassen. Es war einfach und schlicht, aber dennoch hübsch. Und da ich durch das Training und die nächtlichen Patrouillen so gut abgenommen hatte, konnte ich es mir auch erlauben eines zu tragen. Dazu trug ich ausnahmsweise mal keine Stiefel oder Sportschuhe, sondern dunkelblaue Pumps. Pater Michael hatte mich bis dahin in nichts anderem gesehen als in Hosen, T-Shirts und Pullovern. Er war sichtlich beeindruckt von meiner Erscheinung, als er mich zum ersten Mal sah. Und auch während des Essens erwischte ich ihn öfters dabei, wie er mir verstohlene Blicke zuwarf.
     
    Als die letzten Gemeindemitglieder gegangen waren, kehrte endlich wieder die gewohnte Ruhe ein. Zu zweit räumten der Pater und ich auf. Somit ging es auch viel schneller. Als wir fertig waren, ging er in sein Büro, um noch etwas Papierkram zu erledigen. Ich war in der Küche und kümmerte mich gerade um den Abwasch, als er hineinkam. Ich wandte mich zu ihm um und strich mir lächelnd eine Haarsträhne, die sich aus dem Haarknoten in meinem Nacken gelöst hatte, aus dem Gesicht. Er erwiderte mein Lächeln und nahm sich dann eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Er setzte sich an den Tisch und goss sich ein Glas voll ein. Wir schwiegen beide. Nur das Plätschern seines Wassers und das Planschen meiner Hände im Abwaschwasser waren zu hören. Als ich fertig war, trocknete ich mir die Hände ab. Das Geschirr ließ ich stehen. Ich trocknete nicht gern ab.
    „Du erinnerst mich heute sehr an diese Frau,“ sagte der Pater plötzlich.
    Es fiel mir nicht schwer zu erraten, wen er meinte. Und mir war auch nicht entgangen, dass er mich zum ersten Mal mit „du“ angesprochen hatte. Verblüfft über beides drehte ich mich zu ihm um und betrachtete ihn für einen Moment nachdenklich.
    Er nahm einen Schluck aus dem Glas und stellte es wieder auf dem Tisch ab. „Ganz

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