Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
Rauchabzug. Dies war eine Welt für sich. Nur wenige, die nicht hierher gehörten, verließen jemals die belebten Straßen und Gassen rund um die Royal Mile herum, um sich hier umzusehen.
    Tiefer in der Gasse hing eine einsame Laterne an einer Hauswand und sandte ihren tristen Schimmer in die Nacht, ehe er vom Regen aufgesogen wurde. Ein langer Streifen Dunkelheit folgte, ehe der Schein einer weiteren Laterne erneut die Finsternis durchbrach. Dahinter gehörte die Gasse der Dunkelheit. Auf dem unebenen Pflaster mischte sich die Kloake mit dem Regen. Ein stinkendes Rinnsal, das die Straße hinablief. Derselbe Gestank, den sie schon im Durchgang bemerkt hatte, hing auch hier in der Luft. Gefangen zwischen den eng stehenden Hauswänden und derart intensiv, dass nicht einmal der Regen vermochte ihn fortzuwaschen.
    Vladimir, Mihail und Gavril standen am Rande des Lichtkreises der ersten Laterne und ließen ihre Blicke den Close entlangwandern. Alexandra schloss zu ihnen auf. Es gefiel ihr nicht, dass Vladimir es nicht einmal für nötig hielt, sie in seine Pläne einzuweihen. Er mochte ihr grollen, so viel er wollte, sie gehörte noch immer zu den Jägern. Sie hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was er plante!
    »Wir wissen nicht einmal, wo genau sich der Mord ereignet hat«, sagte sie leise. »Der Close ist groß und so verwinkelt wie der Rest der Stadt. Denkt ihr wirklich, dass wir etwas finden werden?«
    Sie konnten kaum mehr tun, als durch die Gassen zu streifen und darauf zu hoffen, dass die Kreatur auch heute Nacht hier sein würde. Diese Ungewissheit gefiel Alexandra nicht. Üblicherweise wussten sie, wenn sie auf die Jagd gingen, wo sich ihre Beute aufhielt.
    Den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen mit der Hand vor dem Regen abgeschirmt, betrachtete sie die hohen Hausfassaden. Hinter kaum einem der spärlich gesäten Fenster brannte noch Licht. Als sie den Blick wieder auf die Straße richtete, waren die Jäger der Gasse bereits ein Stück gefolgt. Kaum zu erkennen außerhalb der fahlen Lichtkreise der spärlich verteilten Laternen.
    Die Männer anzublicken, die ihr seit Jahren vertraut waren, fühlte sich plötzlich an, als beobachte sie jemanden, den sie nie zuvor gesehen hatte. Es lag nicht an Vladimirs Verhalten allein, dass sie ihr plötzlich wie Fremde erschienen. In Wahrheit waren sie Fremde. Sie hatte keinen von ihnen je wirklich an sich herangelassen. Und Alexandra wusste nur zu genau, dass Vladimir sie nur duldete, da sie ihren Nutzen bereits mehrfach unter Beweis gestellt hatte. Innerhalb der eingeschworenen Gemeinschaft der Jäger stand sie allein. Dennoch waren sie die einzigen Menschen, die ihr geblieben waren. Außer ihnen gab es niemanden in ihrem Leben.
    Immer weiter entfernten sie sich von ihr und verschmolzen langsam mit den Schatten. Da überkam sie mit einem Mal ein seltsames Gefühl. Als könne sich hier, in Edinburgh, ihr ganzes Leben ändern. Es war nicht mehr als eine Vorahnung, die sie für einen Moment streifte und mit dem nächsten Atemzug bereits weiterzog. Dennoch ließ sich der Gedanke nicht mehr so einfach abschütteln. Waren sie tatsächlich am Ziel angelangt? War dies der Ort, an dem alles ein Ende finden würde?
    Ein Geräusch schreckte Alexandra auf. Es klang wie ein unterdrückter Aufschrei, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Die Jäger waren bereits zu weit entfernt, als dass sie es ebenfalls gehört haben konnten. Alexandras Augen folgten der Richtung, aus der sie glaubte die Laute vernommen zu haben. In den Schatten auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse entdeckte sie einen schmalen Durchlass, der in einen Hinterhof zu führen schien. Vielleicht auch in einen weiteren Close. Noch einmal flog ihr Blick zu den Jägern. Die Aufmerksamkeit der Männer ruhte auf der Gasse. Keiner sah in ihre Richtung. Sie dachte daran, nach ihnen zu rufen, doch sie wollte nicht verscheuchen, was auch immer sie zwischen den Häusern gehört hatte. Zu den Jägern laufen, um sie zu holen, würde zu lange dauern. Deshalb beschloss sie, allein nachzusehen. Sie war gut ausgebildet und es wäre nicht das erste Mal, dass sie allein auf die Jagd ging. Was auch immer sich dort in den Schatten versteckte, sie würde damit fertig werden.
    Alexandra griff unter ihren Mantel, wo sie die Pistole vor dem Regen verbarg, und zog sie. Mit schnellen Schritten überquerte sie die Gasse. Vor dem Durchgang hielt sie kurz inne und spähte hinein. Der Weg zwischen den Häusern hindurch versank in Finsternis.

Weitere Kostenlose Bücher