Die Jaegerin
es an seinen Platz zurück. Alexandra prägte sich die Stelle ein, an der sich das Buch befand. Sie würde sich später ansehen, worum es sich dabei handelte. Ihr wollte noch immer nicht in den Kopf, was die Vampyrin hier zu suchen hatte. Wieder wanderte ihr Blick über die Regalreihen. Außer dem Bibliothekar schien niemand hier zu sein. Ihre Hand glitt unter den Gehrock und legte sich um den Griff des Silberdolchs. Das war ihre Gelegenheit, zu Ende zu bringen, was sie letzte Nacht begonnen hatte.
Gerade als sie den Dolch ziehen wollte, gewahrte sie im Halbdunkel auf der Galerie eine Bewegung. Für einen Moment schälten sich die Umrisse einer Gestalt aus der Dunkelheit, bevor sie wieder mit den Schatten verschmolzen. Der Augenblick hatte genügt. Die Vampyrin war tatsächlich nicht allein! Der Vampyr, der Alexandra angegriffen hatte, lauerte dort oben. Diesmal entkommt ihr nicht! Vorsichtig machte sie kehrt und zog sich im Schutze der Bücherregale in Richtung der Tür zurück. Ehe sie die letzten Schritte wagte, bei denen es nichts gab, was sie vor den Blicken des Vampyrs verbergen konnte, sah sie erneut zur Galerie. Mit angehaltenem Atem starrte sie angestrengt in die Schatten, versuchte herauszufinden, wo er war und worauf er sein Augenmerk wohl gerichtet haben mochte, doch es wollte ihr nicht gelingen, ihn ausfindig zu machen. Wenn sie ihn nicht sehen konnte, hoffte sie, würde auch er sie nicht entdecken. Mit schnellen Schritten überwand sie die letzten Meter und entschwand in die Eingangshalle.
*
Sie hatten nicht viel Zeit verschwendet und lediglich Catherines Sachen noch vor Tagesanbruch aus der Pension geholt und in Daerons Haus gebracht, ehe sie zur Bibliothek gegangen waren. Seitdem saß Daeron in den Schatten der Galerie und wartete. Von Zeit zu Zeit erhob er sich und vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass unten alles in Ordnung war. Selten gewahrte er mehr als Catherine, die ihren ermüdenden Nachforschungen nachging, oder den Bibliothekar, der, beladen mit Büchern, zwischen den Regalen umherwanderte und jedes Exemplar an seinen Platz zurückstellte. Einmal waren ein paar Studenten hier gewesen, doch sie hatten es kaum eine Stunde an den Lesetischen ausgehalten, ehe sie ihre Bücher zugeklappt hatten und wieder von dannen gezogen waren. Seither war niemand mehr gekommen.
Zweifelsohne würde auch niemand mehr kommen, denn bald schon musste es dunkel werden. Nachdem es letzte Nacht einen weiteren Mord gegeben hatte, würde sich nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr freiwillig auf die Straße wagen. Auch diesmal hatte sich der Täter sein Opfer im Mary King’s Close gesucht. Die Stelle konnte nicht weit von jener entfernt gewesen sein, an der er auf Catherine gestoßen war. Was, wenn …? Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. So wie sie sah niemand aus, der gerade Nahrung zu sich genommen hatte. Aber was, wenn die Jägerin sie gestört hatte, ehe sie ihren Hunger hatte stillen können? Wieder schüttelte er den Kopf. Sie hat das nicht getan!
Sein Blick heftete sich auf Catherine. Sie saß über ein Buch gebeugt, die roten Locken hingen ihr wie ein Vorhang ins Gesicht, und konzentrierte sich ganz auf das, was sie zwischen den Seiten fand. Dass sie nach all der Zeit endlich wieder bei ihm war, erschien ihm wie ein Wunder. Sie anzusehen, sie im Arm zu halten und ihren Duft in sich aufzunehmen, war alles, was er je gewollt hatte. Zu hören, dass sie ihn verlassen hatte, um den Fluch von ihm zu nehmen, den sie über ihn gebracht hatte, war berührend. All die Jahre hatte er geglaubt, es würde ihm nichts ausmachen, ein Vampyr zu sein. Während der letzten Nacht, als Catherine in seinen Armen schlief, hatte er wach gelegen und darüber nachgedacht. Da war ihm bewusst geworden, dass es ihm sehr wohl etwas ausmachte. Er wollte Catherine nach Gwydeon House bringen und eine Familie mit ihr gründen. Er wollte ihr die wundervollen Ländereien zeigen, wenn sie sich im Sonnenlicht vor dem Auge erstreckten, nicht unter dem Mantel der Nacht! Um dies zu können, war er bereit, sich dem Unendlichen zu stellen. Womöglich würden sie es nicht überleben. Dennoch wollte er nichts unversucht lassen, sich selbst – und ihr – den Wunsch eines normalen menschlichen Daseins zu erfüllen. Nach all den Schrecken, die hinter ihr lagen, hatte Catherine es verdient, endlich Frieden zu finden.
Einmal mehr erhob er sich und trat ein paar Schritte nach vorne, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Da
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