Die Jaegerin
während ihr Blick immer wieder an Überschriften oder einzelnen Worten hängen blieb. Es ging tatsächlich um nicht mehr als die Vergangenheit eines Clans. Dieser Band war den Sinclairs gewidmet. Alexandra wusste nicht viel über schottische Geschichte. Sie kannte die Namen einiger Sippen, weiter reichte ihr Wissen jedoch nicht. Was konnte die Vampyrin so sehr an den Sinclairs interessieren? Mit flinken Fingern blätterte sie weiter, bis sie den Stumpf einer ausgerissenen Seite entdeckte. Ihre Augen richteten sich auf das Blatt davor, ohne mehr als den langweiligen Bericht über die Schlachten zu finden, an denen ein gewisser Simon Sinclair teilgenommen hatte. Die Seite danach war ebenso wenig aufschlussreich. Wenn sie herausfinden wollte, wonach die Vampyrin suchte, musste sie die fehlende Seite finden.
Ihr einziger Anhaltspunkt war die Adresse aus der Liste des Bibliothekars. Alexandra konnte nur hoffen, dass sie nicht erfunden war. Entschlossen, dieser Sache nachzugehen, verließ sie die Bibliothek und machte sich auf den Weg zur Candlemaker Row.
Vor der Bibliothek angekommen wandte sie sich nach rechts. Im Schatten der Häuserreihen folgte sie der Nicolson Street und bog nach wenigen Metern in die Drummond Street, die sie geradewegs zu ihrem Ziel führen würde. Jetzt, bei Tag, waren die schmalen Gassen so überfüllt, dass die Menschen von den Bürgersteigen auf die Straße ausweichen mussten und sich ihren Weg zwischen Fuhrwerken und Droschken hindurch bahnten, die über das unebene Kopfsteinpflaster ratterten. An jeder Ecke boten Händler ihre Waren feil. Kinder rannten umher, bettelten um Geld oder etwas zu essen. Alexandra hatte Mühe, all den Menschen auszuweichen. Immer wieder wurde sie angerempelt oder auch angesprochen. Das Gedränge ignorierend setzte sie ihren Weg bis zur Candlemaker Row fort. Als sie sich der angegebenen Adresse näherte, verlangsamte sie ihren Schritt. Ein verwittertes Schild schwang über der Tür im Wind und verkündete, dass es sich hier um Mrs Hendersons Pension handelte.
Alexandra zog sich in den Schatten einer Hausecke zurück, von wo aus sie den Eingang im Blick hatte. Eine lange Zeit verstrich, in der sie ihre Augen immer wieder über die graue Steinfassade, von einem Fenster zum nächsten wandern ließ. Falls die Vampyre hier waren, konnten sie das Haus unmöglich verlassen. Der Eingang lag zu dieser Stunde im hellen Tageslicht. Alexandra wiederum konnte nicht einfach hineingehen und nach den beiden fragen. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, wartete sie ab. Nach einer Weile hielt ein Fuhrwerk vor dem Haus. Ein Mann sprang vom Bock und klopfte an die Tür. Als ihm geöffnet wurde, zerrte er einen Sack Mehl von der Ladefläche, wuchtete ihn sich über die Schultern und betrat das Haus.
Alexandra beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen und mit der Frau – vermutlich der Wirtin – zu sprechen, die dem Lieferanten die Tür geöffnet hatte und noch immer am Eingang stand.
»Entschuldigen Sie«, sprach sie die ältere Dame an. »Können Sie mir sagen, ob Catherine Bayne auf ihrem Zimmer ist?«
Die Frau runzelte die Stirn. Tiefe Falten zerfurchten ihre Züge, als sie Alexandra streng musterte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Miss Bayne ist gestern noch vor Tagesanbruch ausgezogen. Ein junger Mann hat sie abgeholt«, erklärte sie missbilligend.
Der Vampyr! Daeron ap Fealan. »Sie wissen nicht zufällig, wohin die beiden wollten?«
»Sie nahmen eine Droschke nach Canongate. Zur Clyde Street.«
*
Alexandra kauerte im Schatten einer Hausmauer, von wo aus sie nun schon seit Stunden das gegenüberliegende Herrenhaus beobachtete. Hin und wieder glaubte sie eine Bewegung hinter den vorgezogenen Vorhängen auszumachen. Das einzige Anzeichen, dass sich jemand im Haus befand.
Als sie am Mittag in der Clyde Street angekommen war, hatte sie vor dem Problem gestanden, nicht zu wissen, wo sich die Vampyre aufhalten mochten. In der Hoffnung, etwas möge die Anwesenheit der Kreaturen verraten, war sie langsam die Straße entlanggeschlendert. Ein zufällig vorüberkommender Passant hätte sie für eine Spaziergängerin gehalten und nicht bemerkt, wie sie ein Haus nach dem anderen eingehend musterte. Beim Anblick der feudalen Herrenhäuser mit ihren eisernen Zäunen und den Vorgärten kam Alexandra der Gedanke, dass der Vampyr über ein nicht unbeträchtliches Vermögen verfügen musste. Andernfalls wäre er kaum imstande gewesen, sich in einer derart noblen Gegend
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