Die Jaegerin
Einsteigen vor ihm verborgen zu halten. Zu ihrer Erleichterung schloss er die Tür hinter ihr, ohne Fragen zu stellen. Auf der Kante der Bank wartete sie unruhig, bis sich das Gefährt ruckend in Gang setzte. Während sie angestrengt aus dem Fenster in die Dunkelheit spähte, nahm sie die Scherbe und machte sie sich daran, ihre Fesseln zu durchtrennen. Als die Stricke endlich abfielen, sank sie erschöpft im Sitz zurück. Zweifelsohne würde der Vampyr versuchen sie zu fassen zu bekommen. Er würde ihrem Geruch durch die Gärten bis zu jener Stelle folgen, an der sie die Droschke bestiegen hatte. Dort würde ihre Spur enden.
Ihr Schädel hämmerte und die Platzwunde, die ap Fealan ihr zugefügt hatte, sandte mit jedem Herzschlag ein scheußliches Brennen aus. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch am Leben war. Womöglich war es aber auch etwas anderes. Helfen Sie uns, den Unendlichen zu vernichten! Zu Alexandras Erstaunen hatte sich die Bitte aufrichtig angehört. War es möglich, dass diese beiden Vampyre anders waren als all die anderen Kreaturen, die sie während der vergangenen Jahre gejagt und getötet hatte? Das war schwer zu glauben. Dennoch hatten sie sie lediglich niedergeschlagen und gefesselt, anstatt ihr etwas anzutun. Aber was wäre geschehen, wenn sie geblieben wäre? Hätten sie ihr Leben auch weiterhin verschont? War es tatsächlich denkbar, mit diesen Vampyren ein Bündnis im Kampf gegen den Unendlichen zu schließen?
Sie richtete ihren Blick auf die verlassene Straße und spürte, wie die Anspannung der vergangenen Stunden allmählich von ihr abfiel. Ihre Augenlider wurden schwer und sie kämpfte gegen den Schlaf an. Als die Droschke den Hügel hinaufrumpelte, wanderten ihre Augen über die verlassenen Bürgersteige der Royal Mile. Da gewahrte sie ein Stück die Straße entlang eine Gestalt im Schatten der Hausmauer. Eine Frau folgte dem Weg, die Bewegungen fließend und geschmeidig, weitaus gewandter als die jedes Menschen. Mit einem Mal bog sie um die Ecke und alles, was Alexandra noch erkennen konnte, war der Saum eines Kleides, der unter ihrem Mantel hervorlugte. Plötzlich fühlte sie sich an jenen Vampyr erinnert, dem das junge Mädchen zum Opfer gefallen war. Die Kreatur, die ihr entkommen war, kurz vor Alexandras erstem Zusammenstoß mit Catherine Bayne. Ging sie erneut auf die Jagd? Schlagartig fiel alle Müdigkeit von ihr ab. Alexandra gab dem Kutscher ein Zeichen, anzuhalten. Die Räder waren kaum zum Stehen gekommen, da stieß sie schon den Verschlag auf und sprang auf die Straße. Sie drückte dem verwunderten Mann ein paar Münzen in die Hand und sah sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erhob sich der gekrönte Turm der St.-Giles-Kathedrale. Als sie sich langsam umwandte, blickte sie in die tiefen Schatten des Mary King’s Close.
Alexandra verschwendete keine weitere Zeit. Die Kreatur war ihr schon einmal entwischt. Noch einmal würde sie nicht entkommen! Entschlossen trat sie in den Durchgang. Dunkelheit verschlang sie, doch diesmal war sie darauf vorbereitet. Sie streckte die Hand aus und ertastete sich ihren Weg an der Hauswand entlang. Als sie aus dem Durchgang trat und sich vor ihr die enge, finstere Häuserschlucht erstreckte, sah sie die Vampyrin gerade noch um eine Ecke verschwinden. Alexandra beschleunigte ihren Schritt, bis sie die Hausecke erreichte. Vorsichtig spähte sie herum. Ein Stück entfernt vermochte sie die Umrisse der Kreatur auszumachen, die mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Close eindrang, ein wenig mehr mit den Schatten verschmolzen. Aus einem der Häuser drang der Lärm eines Streits durch die Nacht, hallte von den Wänden wider und überlagerte das gedämpfte Knirschen ihrer Stiefel. Nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass niemand sonst in den Gassen lauerte, schlüpfte sie um die Ecke und folgte der Vampyrin tiefer in die verwinkelten Gassen des Close hinein. Sie hielt sich dicht an der Hauswand, bewegte sich so lautlos wie möglich und zugleich so schnell wie nötig. Die Kreatur durfte sie nicht noch einmal abhängen!
Alexandra näherte sich einer weiteren Ecke, als sie plötzlich ein undeutliches Geräusch vernahm. Sie blieb stehen und lauschte. Es kam von dort, wo die Kreatur eben nach links und um eine weitere Ecke verschwunden war. Vorsichtig schob Alexandra sich näher heran. Sie hatte das Ende der Hauswand beinahe erreicht, als die Stimme eines Mannes sie innehalten ließ.
»Habe ich dir nicht untersagt,
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