Die Jaegerin
Vladimir versuchte sich loszureißen, doch Mihail gab ihn nicht frei.
»Hör auf, Vladimir!«
Gavril wollte ihr aufhelfen, doch sie streifte seine Hände ab und stand allein auf. »Diese Vampyre können mir helfen den einzigen Gegenstand zu finden, der den Unendlichen vernichten kann!« Vladimirs Wut sowie die Erkenntnis, dass sie bereit gewesen war sich auf eine Zusammenarbeit mit Vampyren einzulassen, machten ihn nicht länger für vernünftige Argumente zugänglich. Deshalb wandte sie sich jetzt an Mihail. »Verhaltet euch still, bis ich das Kreuz habe – und lasst vor allem bis dahin die beiden Vampyre in Ruhe! Ohne ihre Hilfe wird es uns nicht gelingen, den Unendlichen zu vernichten. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Das werden wir sicher nicht!« Vladimir versuchte vergeblich sich aus Mihails Griff zu befreien.
»Doch«, sagte Mihail ruhig, »das werden wir.« Er nickte Alexandra zu. »Vladimir beruhigt sich schon wieder.«
Das bezweifelte sie. Alexandras Blick schweifte von einem zum anderen, glitt über die Gesichter der Männer, die ihr in den vergangenen Jahren vertrauter geworden waren als irgendetwas anderes auf der Welt. Jetzt jedoch war es, als würde sie sie aus weiter Ferne betrachten. Schon in jener ersten Nacht im Mary King’s Close waren sie ihr eigenartig fremd erschienen. Die Ereignisse der vergangenen beiden Tage hatten den Graben zwischen ihnen nur noch weiter vertieft. Ganz gleich, wie es auch weitergehen mochte, Alexandra hatte sich zu weit von ihnen entfernt, um sich länger als Teil der Gruppe betrachten zu können. Womöglich war sie es nie gewesen.
14
Catherines Verstand war in der Dunkelheit gefangen. An einem Ort, an dem es keine Geräusche, keine Gerüche, ja nicht einmal Gefühle gab. Nur absolute Finsternis. Seit geraumer Zeit – wie lange schon? – spürte sie, wie das Nichts, das sie umgab, immer weiter anwuchs. Sie hatte versucht sich daraus zu befreien, doch es war wie ein Strudel, der sie immer tiefer hinabzog. Weiter hinein in die Leere, die ihren Geist umklammert hielt. Etwas schien auf schreckliche Weise falsch zu sein, zugleich erschien es ihr wundervoll. Hier existierten ihre Ängste und Sorgen nicht länger. Sie verspürte weder den gewohnten Hass, den sie sonst ihrer Existenz gegenüber empfand, noch den Wunsch, dieses Leben mit all seinen Abscheulichkeiten endlich hinter sich lassen zu können. Frei von allen Gefühlen konnte sie einfach nur sein . Für eine Weile hieß sie diese Leere willkommen, erleichtert darüber, den tagtäglichen Schrecken ihres Daseins zu entkommen. Langsam jedoch verblasste die Erinnerung. Ihr Geist trieb ziellos durch die Dunkelheit und sie begann sich zu fragen, wer sie war und was sie so dringend zu vergessen versuchte. Womöglich war es nicht wichtig. Andernfalls hätte sie sich zweifelsohne erinnert. Sie genoss das Gefühl der Leere, das ihren Geist durchflutete, als sie tiefer in die Schwärze glitt. Je weiter ihr Verstand in die Dunkelheit eintauchte, desto mehr entfernte sie sich von der Wirklichkeit. Wie sehr hatte sie sich gewünscht alles hinter sich zu lassen! Dass dies nun geschah, erfüllte sie mit wilder Freude.
Dann war auch dieser Gedanke vergessen.
Dunkelheit. Frei von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Nicht einmal ihres Namens vermochte sie sich länger zu entsinnen. Da tauchte urplötzlich das Gesicht eines Mannes vor ihr auf. Obwohl sie sicher war, ihn nie zuvor gesehen zu haben, erschienen ihr seine Züge auf seltsame Weise vertraut. Er betrachtete sie ernst und voller Sorge. Mit einem Mal wusste sie, dass sich – sobald er lächelte – Grübchen auf seinen Wangen zeigen und seine braunen Augen vor Schalk blitzen würden. Diese Augen … etwas darin berührte ihr Herz.
»Kehr um, Catherine!«, formten seine Lippen lautlos. Wenngleich sie seine Stimme nicht zu hören vermochte, glaubte sie doch zu wissen, wie sie sich anhören musste. Catherine . Das war ihr Name!
Sein Name streifte ihre Erinnerung und erweckte sie zum Leben. »Daeron«, flüsterte sie in die Dunkelheit. Sie wusste wieder, wer er war – und was sie ihm angetan hatte!
»Komm zurück zu mir!« Diesmal konnte sie die Worte hören. Sie vernahm die Wärme und die Liebe darin. Dieselbe Liebe, die auch sie empfand. Wie hatte sie zulassen können, dass die Schwärze ihr die Erinnerung an ihn nahm!
Während sich ihr Geist noch an Daerons Bild klammerte, erwachten ihre Sinne zu neuem Leben. Nicht schlagartig, sondern langsam, Stück für
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