Die Jaegerin
Stück. Ein eisiger Lufthauch strich über ihren Leib hinweg. Die Kälte machte ihr nichts aus, trotzdem spürte sie sie. Catherine war noch immer von Dunkelheit umgeben. Diesmal jedoch war sie keine Gefangene mehr. Sie brauchte nur die Augen zu öffnen, um die Finsternis abzustreifen. Dennoch tat sie es nicht. Sie spürte einen leichten Druck auf ihrem Hinterkopf und über ihre gesamte Rückseite. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass sie auf dem Rücken lag. Feuchtigkeit benetzte ihr Gesicht, unzählige winzige Tröpfchen, die sich auf ihrer Haut sammelten, ehe sie von ihren Wangen perlten. Ein wenig zögernd streckte sie die Hände zur Seite und tastete nach dem regennassen Boden. Ihre Finger gruben sich in raues, feuchtes Erdreich. Ein leicht modriger Geruch stieg daraus empor und drang ihr in die Nase. Etwas Ähnliches hatte sie schon einmal erlebt. In jener Nacht, in der sich ihr Leben für immer verändert hatte. Auch damals war sie zu sich gekommen, als sich ihre Finger in feuchte Erde gruben. Neben ihr hatte Hauptmann Farrells Leichnam gelegen. Sein Tod nicht mehr als eine Machtdemonstration ihres Vaters. Aus Furcht vor dem, was sie erblicken mochte, wagte sie noch immer nicht die Lider zu heben. Konnte es etwas Schlimmeres geben als das, was ihr Vater ihr in jener Nacht angetan hatte?
Catherine versuchte sich zu erinnern. War sie nicht eben noch auf dem Weg zum Schlachter gewesen? Doch ihre Hände waren leer. Wo war das vertraute Gewicht der Kanne, die sie bei sich gehabt hatte? Sie musste sie verloren haben, als … Jemand war ihr gefolgt! Doch sie hatte die Kanne noch bei sich gehabt, als sie durch einen Close entwischt war. Das Bild eines hageren, kahlköpfigen Mannes blitzte vor ihr auf. Sie war mit ihm zusammengestoßen. Anfangs hatte er sie erschreckt, doch er war harmlos gewesen. Was war dann geschehen? Catherine glaubte sich zu erinnern, dass sie gewartet hatte, bis er die Sicherheit seines Hauses erreichte, ehe sie ihren Weg fortgesetzt hatte. Du willst ihn! Hol ihn dir! Die Worte fraßen sich wie Säure in ihren Geist und ließen sie erstarren.
Was war danach geschehen? Sosehr sie auch darum kämpfte, sich ins Gedächtnis zu rufen, welchen Weg sie genommen und wann sie den Schlachter erreicht hatte, es mochte ihr nicht gelingen, sich an etwas anderes als die Schwärze zu erinnern, die auf diesen Gedanken gefolgt war. Hol ihn dir!
Der Regen wurde stärker, stach jetzt wie winzige Nadeln in ihre Haut. Zugleich frischte der Wind auf und ließ Catherine den widerlichen Geruch von Kloake und Unrat in die Nase steigen. Doch da lag noch ein anderer, weitaus üblerer Gestank in der Luft: Es roch nach Tod.
Diesmal öffnete Catherine die Augen und blickte in den samtschwarzen Nachthimmel, der sich über ihr erstreckte. Regentropfen schlugen ihr entgegen und zwangen sie zu blinzeln. Sie hob die Hand, um sich das Wasser aus dem Gesicht zu wischen. Als ihre Finger auf Augenhöhe waren, bemerkte sie dunkle Schatten, die sich zwischen ihre Finger und über ihre Handfläche zogen. Mit der anderen Hand wollte sie die Erde abreiben, ehe sie sich über das Gesicht fuhr. Ein vertrauter, metallischer Geruch erfüllte schlagartig all ihre Sinne. Ihre Finger waren schmutzig und fühlten sich klebrig an, doch es war keine nasse Erde, sondern geronnenes Blut!
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Ihre Augen fuhren über ein großes schwarzes Gewässer. Regentropfen durchschlugen die Wasseroberfläche und brachten sie in Bewegung. Der Wind trieb kleine Wellen vor sich her, die mit einem leisen Zischen ans Ufer schlugen. Der Nor’ Loch! Sie saß nur wenige Schritte vom Wasser entfernt auf dem Boden und starrte ungläubig auf das dunkle Gewässer, das nicht einmal annähernd auf ihrem Weg lag!
Unmittelbar neben sich entdeckte sie die Kanne. Der Deckel lag daneben, sodass sich der dunkelrote Inhalt in den Uferschlamm ergossen hatte. Trotz des beißenden Geruchs, der daraus emporstieg, war Catherine erleichtert. Sie hatte das Tierblut verschüttet. Das erklärte ihre blutverschmierten Hände und den Geruch nach Tod. Dann jedoch fiel ihr etwas anderes ein: Ihr unerkannter Verfolger hatte sie gezwungen, von ihrem ursprünglichen Weg abzuweichen und in den Close zu flüchten. Soweit sie sich erinnerte, war sie gar nicht beim Schlachter gewesen!
Im selben Moment gewahrte sie aus dem Augenwinkel einen Schatten auf dem Boden. Sie wandte den Kopf und blickte auf den reglosen Körper eines kahlköpfigen Mannes, der mit
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