Die Jagd am Nil
gemeißelt. Das hat sonst niemand getan, jedenfalls habe ich noch nie davon gehört. Und die anderen Schriftrollen vom Toten Meer sind voller Hinweise auf den spirituellen Führer der Essener, eine Erlösergestalt, die nur als ‹Lehrer der Rechtschaffenheit› bekannt war. Genau so wurde Echnaton in Amarna genannt.»
«Dann stimmt es also. Es muss so sein.»
«Nicht unbedingt. Zwischen Amarna und Qumran sind tausend Jahre vergangen, vergessen Sie das nicht. Und alles, was ichgerade erwähnt habe, sind lediglich Indizien. Bisher hat noch niemand eindeutige Beweise gefunden.»
«Außer die Kupferrolle», bemerkte Lily.
Einen Moment herrschte Stille. «Ja», gab Gaille zu. «Außer die Kupferrolle.»
II
Die Maler hatten ihre Arbeit in Augustin Pascals Wohnung vor fast einer Woche beendet, aber es roch noch immer nach Farbe und Lösungsmittel. Der Geruch machte sich vor allem am frühen Morgen bemerkbar, wenn Augustin seinen Kater und die Leere auf der Matratze neben sich wahrnahm. Seit zwei Wochen hatte er dieses verfluchte Bett, ohne es getestet zu haben. Irgendetwas in seinem Leben war schiefgelaufen.
An der Wohnungstür hämmerte es. Wahrscheinlich wollten sich die Nachbarn wieder beschweren. Er drehte sich auf die Seite, presste das Kissen auf sein Ohr und wartete darauf, dass sie verschwanden. Gott, er war müde. Trotz des teuren neuen Bettes und der Matratze, den weichen Laken und Daunenkissen konnte er sich nicht daran erinnern, jemals so schlecht geschlafen zu haben oder so erschöpft gewesen zu sein.
Das Hämmern hörte nicht auf. Mit einem wütenden Schrei richtete er sich auf, schlüpfte in Jeans und Sweatshirt und ging zur Tür. «Was soll der Scheiß!», fluchte er, als er Knox sah. Doch dann bemerkte er die Wunden und Schwellungen. «Mein Gott! Was ist passiert?»
«Autounfall», brachte Knox undeutlich hervor. «Kann mich nicht erinnern.»
Augustin sah ihn entsetzt an, drehte sich um und ging insSchlafzimmer, um seine Jacke zu holen. «Ich bringe dich ins Krankenhaus.»
«Nein», sagte Knox. «Zu unsicher. Ein Mann … er hat ein Kissen auf mein Gesicht gedrückt.»
«Was? Wer?»
«Keine Ahnung. Es war zu dunkel.»
«Ich rufe die Polizei.»
«Nein! Keine Polizei. Keine Ärzte. Bitte. Ich muss herausfinden, was los ist.»
Augustin zuckte mit den Achseln und führte Knox zum Sofa. Dann ging er in die Küche und schenkte beiden ein Glas Wasser ein. Seines trank er in einem Zug aus. «Okay», sagte er und wischte sich den Mund ab. «Von vorne. Ein Autounfall. Wo?»
Knox schüttelte den Kopf. «Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich mit dir Kaffee getrunken habe.»
«Aber das war vorgestern!», erwiderte Augustin. «Hast du irgendwelche Quittungen? Irgendwelche Belege, durch die wir rekonstruieren können, was du in der Zwischenzeit getan hast?»
«Nein.»
«Was ist mit deinem Handy? Schau nach, wen du angerufen hast.»
Knox klopfte auf seine Tasche. «Verloren.»
«Und E-Mails ?» Er führte Knox an den Küchentisch, schaltete seinen Laptop an und loggte sich ins Internet ein. Nachdem Knox sein Passwort eingegeben hatte, sah er die Nachricht von Gaille.
Hallo, Daniel,
im Anhang findest du deine Therapeutenfotos, zumindest die, aus denen ich etwas machen konnte. Die anderen waren zu schlecht belichtet und zu unscharf, um sie auf die Schnelle zu bearbeiten, aber ich versuche es noch einmal. Wo hast du sie aufgenommen? Wo bist du da wieder reingeraten?
Ich kann es kaum erwarten, mehr zu hören. Ich muss heute ein paar Leute nach Amarna fahren, aber ich rufe dich abends an.
Ich vermisse dich auch.
Liebe Grüße, Gaille.
Augustins Herz pochte, als er die Nachricht las. Er wurde blass. «Alles in Ordnung?», fragte Knox.
«Therapeutenfotos?», meinte Augustin. «Wo zum Teufel hast du die aufgenommen?»
«Woher soll ich das wissen?», entgegnete Knox. «Ich kann mich an nichts erinnern.»
Augustin nickte. «Dann lade diese verdammten Fotos runter, okay? Die Sache wird langsam interessant.»
III
Im Anhang von Staffords Buch befand sich der vollständige Text der Kupferrolle samt Übersetzung, die Gaille und Lily gemeinsam lasen. «Welchem Gewicht entspricht ein Talent eigentlich genau?», fragte Lily.
«Das war von Ort zu Ort verschieden», antwortete Gaille. «Zwischen zwanzig und vierzig Kilo.»
«Aber da steht etwas von neunhundert Talenten», entgegnete Lily. «Das wären demnach achtzehntausend Kilo Gold. Das ist doch unmöglich.»
Gaille
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