Die Jagd beginnt
sang der Ogier leise und beinahe schüchtern, und das Land warf ein flüsterndes Echo zurück.
Es schien eine reine Melodie zu sein, Musik ohne Worte; jedenfalls besaß sie keinen für Rand erkennbaren Text. Falls es einen Wortlaut gab, ging er so in die Melodie über wie Wasser in einen Bach. Hurin schnappte nach Luft und machte große Augen.
Rand war nicht klar, was Loial da eigentlich tat oder wie er es bewerkstelligte. So leise das Lied auch erklang, so hatte es doch eine beinahe hypnotische Wirkung auf ihn und erfüllte seinen Geist fast so wie das Nichts.
Loial streichelte den Stamm mit seinen großen Händen, sang und liebkoste sowohl mit seiner Stimme als auch mit den Fingern. Irgendwie schien der Stamm nun glatter, als ob sein Streicheln ihn veränderte. Rand blinzelte. Er war sicher, dass der Baum, den Loial bearbeitete, vorher genau wie die anderen an der Spitze Äste aufgewiesen hatte, doch nun lief er in einem abgerundeten Ende direkt über Loials Kopf aus. Rand öffnete den Mund, aber das Lied beruhigte ihn wieder. Es kam ihm so bekannt vor, dieses Lied, als sollte er es eigentlich kennen.
Plötzlich schwoll Loials Stimme an, erreichte einen Höhepunkt – es klang wie eine Dankeshymne – und verklang so sanft wie eine Brise.
»Verflucht«, hauchte Hurin. Er wirkte wie betäubt. »Verflucht, ich habe noch nie so etwas gehört … Verflucht.«
In seinen Händen hielt Loial einen Stab, so lang, wie er groß war, und so dick wie Rands Unterarm. Er war glatt und glänzte. Wo sich der Stamm des Riesenbesenbaums befunden hatte, war jetzt ein kleiner neuer Sprössling zu sehen.
Rand atmete tief durch. Immer wieder etwas Neues, etwas Unerwartetes, und manchmal ist es nichts Schlimmes.
Er sah zu, wie Loial sich auf sein Pferd schwang und den Stab vor sich über den Sattel legte. Er fragte sich, warum der Ogier einen Stab wollte, da sie ja schließlich ritten. Doch dann sah er den dicken Prügel mit anderen Augen, nicht der Größe wegen, sondern weil ihm bewusst wurde, wie der Ogier ihn führte. »Ein Bauernspieß«, sagte er überrascht. »Ich wusste nicht, dass Ogier auch Waffen tragen, Loial.«
»Normalerweise ist das auch nicht der Fall«, antwortete der Ogier kurz angebunden. »Der Preis war immer zu hoch.« Er schwang den mächtigen Bauernspieß und runzelte angewidert die Nase. »Der Älteste Haman würde bestimmt sagen, dass ich einen langen Schaft an meine Axt stecke, aber ich handle nie unüberlegt, Rand. Dieser Ort hier …« Er schauderte, und seine Ohren zuckten.
»Wir finden bestimmt bald den Weg zurück«, meinte Rand. Er bemühte sich, selbstsicher zu klingen.
Loial sprach, als habe er nichts gehört: »Alles ist … irgendwie miteinander verknüpft, Rand. Ob lebendig oder nicht, ob es denken kann oder nicht, alles was ist , gehört zusammen. Der Baum denkt nicht, ist aber ein Teil des Ganzen, und das Ganze kann man … fühlen. Ich kann es nicht erklären, genauso wenig, wie ich dir erklären könnte, was ›glücklich‹ bedeutet, aber … Rand, dieses Land war froh, dass ich eine Waffe daraus fertigte. Froh!«
»Das Licht leuchte uns«, murmelte Hurin, »und die Hand des Schöpfers schütze uns. Und wenn wir uns in die letzte Umarmung der Mutter begeben, dann beleuchte uns den Weg, Licht.« Er wiederholte diese Litanei immer wieder, als sei sie ein schützender Bannspruch.
Rand widerstand dem Drang, sich umzusehen. Ganz bestimmt blickte er nicht zum Himmel auf. Alles, was noch notwendig war, um sie vollends zu entmutigen, war in diesem Augenblick eine weitere ausgefranste Spur am Himmel. »Hier gibt es nichts, was uns schaden könnte«, sagte er mit fester Stimme. »Und wir werden aufmerksam wachen und aufpassen, dass uns nichts bedrohen kann.«
Er hätte sich gern selbst ausgelacht, so ernsthaft klang das alles. Dabei war er sich in keiner Weise sicher. Aber wenn er die anderen so betrachtete – Loial, dessen behaarte Ohren herabhingen, und Hurin, der sich bemühte, überhaupt nichts anzusehen –, dann wurde ihm klar, dass wenigstens einer von ihnen zuversichtlich erscheinen musste, sonst würden Angst und Unsicherheit zu ihrem Untergang führen. Das Rad webt, wie das Rad es wünscht. Er verdrängte diesen Gedanken. Hat nichts mit dem Rad zu tun und auch nichts mit ta’veren oder Aes Sedai oder dem Drachen. Es ist eben einfach so, und das ist alles.
»Loial, bist du hier fertig?« Der Ogier nickte und strich bedauernd über seinen Bauernspieß. Rand wandte sich Hurin zu.
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