Die Jagd beginnt
Schatten keine zehn Schritt entfernt. Ein großer massiger Schatten mit einer langen Schnauze. Rand stockte der Atem. Ein Trolloc. Er hob die Schnauze witternd in die Luft. Manche von ihnen jagten nur nach Witterung. Für einen Moment flackerte das Nichts. Im Lager der Schattenfreunde rührte sich jemand, und der Trolloc wandte sich um und spähte hinüber.
Rand erstarrte und ließ sich von der Ruhe der Leere einhüllen. Seine Hand lag auf dem Schwertgriff, ohne dass es ihm bewusst wurde. Das Nichts war alles. Was auch immer geschah, es geschah. Er beobachtete den Trolloc ohne jedes Augenzwinkern.
Der Schatten mit der Schnauze beobachtete das Lager der Schattenfreunde noch ein wenig und ließ sich dann, anscheinend befriedigt, neben einem Baum nieder. Beinahe augenblicklich war ein leises Geräusch wie von reißendem Stoff zu vernehmen.
Loial brachte seinen Mund ganz nahe an Rands Ohr. »Er schläft«, flüsterte er ungläubig.
Rand nickte. Tam hatte ihm gesagt, Trollocs seien faul und würden jede Aufgabe schnell vernachlässigen – vom Töten abgesehen –, wenn sie nicht von Angst getrieben wurden. Er wandte sich wieder dem Lager zu.
Alles war ruhig dort, nichts rührte sich. Der Mondstrahl traf die Truhe nicht mehr, aber er wusste nun, welcher Schatten es war. Er konnte sie im Geist sehen, wie sie golden und mit Silber verziert im Schein von Saidin schimmerte. Das Horn von Valere und der Dolch, den Mat brauchte, und beides so nahe, dass er sie beinahe mit der Hand berühren konnte. Selenes Gesicht schwebte neben der Truhe. Sie konnten Fains Gruppe am Morgen folgen und warten, bis Ingtar sich ihnen anschloss. Falls Ingtar kam; falls er der Spur ohne Schnüffler noch folgte. Nein, es würde keine bessere Möglichkeit mehr geben. Alles in Reichweite seiner Hand. Selene wartete auf dem Berg.
Rand bedeutete Loial, ihm zu folgen, legte sich auf den Bauch und kroch auf die Truhe zu. Er hörte den Ogier gedämpft aufkeuchen, aber seine Augen waren auf die schattenhafte Erhebung vor ihm gerichtet. Schattenfreunde und Trollocs lagen zu seiner Rechten und zu seiner Linken, aber als er einst beobachtet hatte, wie Tam sich so nahe an einen Hirsch herangeschlichen hatte, dass er ihm die Hand auf die Flanke legen konnte, bevor das Tier erschreckt davonstürzte, hatte er sich vorgenommen, diese Kunst ebenfalls zu erlernen. Wahnsinn! Der Gedanke huschte fast außerhalb seiner Reichweite an ihm vorbei. Das ist Wahnsinn! Du wirst verrückt! Undeutliche Gedanken; die Gedanken eines anderen.
Langsam und lautlos kroch er zu diesem besonderen Schatten hinüber und streckte die Hand danach aus. Er berührte komplizierte, in Gold gewirkte Muster. Es war die Truhe mit dem Horn von Valere. Auf dem Deckel berührte seine Hand etwas anderes. Den Dolch mit blanker Klinge. Im Dunklen weiteten sich seine Augen. Er dachte daran, was der Dolch Mat angetan hatte, und schreckte zurück. Das Nichts verlagerte sich in seiner Erregung.
Der am nächsten schlafende Mann – nicht mehr als zwei Schritte von der Truhe entfernt; alle anderen lagen zumindest Spannen weit weg – stöhnte im Schlaf auf und riss an seinen Decken. Rand gestattete dem Nichts, alle Gedanken und alle Furcht wegzuwischen. Der Mann beruhigte sich unter schlaftrunkenem Gemurmel.
Rand bewegte seine Hand wieder auf den Dolch zu, ohne ihn wirklich zu berühren. Zu Anfang hatte er Mat nicht geschadet. Jedenfalls nicht sehr, nicht zu Beginn. Mit einer schnellen Bewegung hob er den Dolch auf, steckte ihn in seinen Gürtel und riss seine Hand weg, als könne es helfen, wenn er nur kurze Zeit damit in Berührung kam. Vielleicht half es ja wirklich, und Mat würde ohne den Dolch sterben. Er fühlte ihn wie ein Gewicht, das ihn herunterzog. Er drückte sich dagegen. Aber im Nichts waren Gefühle ebenso fern wie Gedanken, und das Gefühl des Dolchs an seinem Körper wurde schnell zu etwas Gewohntem.
Er verschwendete nur noch einen Augenblick daran, die in Schatten gehüllte Truhe zu betrachten. Das Horn musste sich darin befinden, aber er wusste nicht, wie er sie öffnen sollte, und konnte sie auch nicht selbst aufheben. Er sah sich nach Loial um. Der Ogier kauerte nicht weit hinter ihm. Sein massiger Kopf drehte sich hierhin und dorthin, als er von den schlafenden menschlichen Schattenfreunden zu den schlafenden Trollocs blickte und zurück. Selbst in der Dunkelheit wurde deutlich, dass Loials Augen weit aufgerissen waren. Im Mondschein wirkten sie untertassengroß. Rand lehnte
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