Die Jagd beginnt
die ganze Festung nach ihm durchsuchten. Beharrlich verdrängte er die Gedanken an diese Möglichkeit, und er konzentrierte sich ganz darauf, einen Hort der Sicherheit aufzuspüren. Aber bei jedem infrage kommenden Platz, den er ausfindig machte – einem Hohlraum in einem Stapel von Getreidesäcken, einem schmalen Durchgang an einer Wand hinter einigen Weinfässern, einem zur Hälfte mit leeren Kisten und Schatten gefüllten, aber ansonsten leer stehenden Lagerraum –, stellte er sich vor, wie ihn die Häscher dort fänden. Er stellte sich auch vor, wie der unsichtbare Beobachter, wer oder was er auch sein mochte, ihn dort ausfindig machte. Also schlich er weiter, durstig und staubig und mit Spinnweben im Haar.
Dann betrat er einen nur trüb von Fackeln beleuchteten Korridor, und da war Egwene und schlich von Tür zu Tür. Sie blieb jeweils stehen, um in die Lagerräume zu spähen. Ihr dunkles, bis an die Hüften reichendes Haar wurde von einem roten Band zusammengehalten. Sie trug ein hellgraues Kleid shienarischen Schnitts mit einer roten Borte. Bei ihrem Anblick überkamen ihn Trauer und Sehnsucht, schlimmer als zu der Zeit, da er Mat und Perrin und Loial verscheucht hatte. Er war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass er eines Tages Egwene heiraten würde – genau wie sie umgekehrt ja auch. Aber jetzt …
Sie zuckte zusammen, als er plötzlich vor ihr stand. Ihr schien der Atem zu stocken, aber dann sagte sie nur: »Also da bist du! Mat und Perrin erzählten mir, was du getan hast. Und Loial auch. Ich weiß, was du damit erreichen willst, Rand, und das ist einfach idiotisch.« Sie verschränkte die Arme unter dem Busen, und ihre großen, dunklen Augen sahen ihn unverwandt an. Er hatte sich schon immer gefragt, wie sie es fertig brachte, dass es so wirkte, als blicke sie auf ihn herunter – das machte sie, wann immer sie gerade wollte –, obwohl sie ihm nur bis ans Kinn reichte und auch noch zwei Jahre jünger war.
»Gut«, sagte er. Plötzlich ärgerte er sich über ihr Haar. Er hatte niemals eine erwachsene Frau gesehen, die ihr Haar offen und nicht als Zopf trug, bevor er die Zwei Flüsse verließ. Dort wartete jedes Mädchen ungeduldig darauf, dass der Frauenkreis ihres Dorfs entschied, sie sei alt genug, um ihr Haar zum Zopf zu flechten. Egwene war keine Ausnahme gewesen. Und nun war sie hier und trug ihr Haar offen, nur mit einem Band gehalten. Ich will nach Hause und kann nicht, während sie es gar nicht erwarten kann, Emondsfelde zu vergessen. »Geh weg und lass mich in Ruhe. Du willst dich doch nicht mehr mit einem Schäfer abgeben. Hier sind jetzt genug Aes Sedai, die du anhimmeln kannst. Und erzähl keiner davon, dass du mich gesehen hast. Sie sind hinter mir her, und ich könnte es nicht ertragen, wenn du ihnen hilfst.«
Auf ihren Wangen brannten rote Flecke. »Glaubst du, ich würde …«
Er drehte sich um und wollte weitergehen, doch da warf sie sich mit einem kleinen Aufschrei auf ihn und umklammerte seine Beine. Beide fielen taumelnd auf den Steinfußboden. Seine Satteltaschen und das Bündel flogen durch die Gegend. Er keuchte beim Aufschlag auf den Boden. Der Griff seines Schwerts bohrte sich in seine Seite, und das wiederholte sich, als sie sich hochrappelte und sich anschließend auf seinen Rücken fallen ließ, als sei er ein Stuhl. »Meine Mutter«, sagte sie entschlossen, »hat mir immer beigebracht der beste Weg zu lernen, wie man mit einem Mann umgeht, sei zu lernen, wie man auf einem Maulesel reitet. Sie sagte, die meiste Zeit über hätten sie ungefähr den gleichen Verstand. Manchmal sei auch der Maulesel schlauer.«
Er hob den Kopf und blickte sie über die Schulter hinweg an. »Geh runter von mir, Egwene. Runter! Egwene, wenn du nicht gleich unten bist …« – er senkte die Stimme vielsagend – »dann tue ich dir etwas an. Du weißt, was ich bin.« Er warf ihr einen bitterbösen Blick zu, um seine Drohung zu unterstreichen.
Egwene schnaubte. »Das würdest du nicht, auch wenn du könntest. Du kannst niemandem etwas zuleide tun. Außerdem geht das auch gar nicht. Ich weiß, dass du die Eine Macht nicht nach Belieben lenken kannst. Es geschieht einfach, und du kannst es nicht kontrollieren. Also wirst du weder mir noch sonst jemandem etwas antun. Andererseits habe ich bei Moiraine Unterricht gehabt, und wenn du keine Vernunft annimmst, Rand al’Thor, dann könnte ich vielleicht deine Hose in Brand setzen. So was schaffe ich. Mach nur so weiter, dann wirst du es
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