Die Jagd beginnt
keiner ihre Worte verstehen konnte. »Manchmal ist Saidin einfach nur in der Nähe. Ich kann es fühlen, aber nicht berühren. Es könnte genauso gut auf dem Mond sein, so weit ist jede Berührungsmöglichkeit entfernt. Und auch wenn es gelingt – was geschieht, wenn ich uns auf eine Welt bringe, wo wir nicht atmen können? Was hat Mat dann davon? Oder das Horn?«
»Ihr seid der Wiedergeborene Drache«, sagte sie ruhig. »O ja, Ihr könnt auch sterben, aber ich glaube nicht, dass Euch das Muster sterben lässt, bevor Eure Aufgabe erfüllt ist. Aber natürlich liegt heutzutage das Große Muster unter dem Schatten, und wer weiß, wie dies das Weben beeinflusst? Ihr könnt eben nur Eurem Schicksal folgen.«
»Ich bin Rand al’Thor«, grollte er. »Ich bin nicht der Wiedergeborene Drache. Ich werde auch nicht zu einem falschen Drachen.«
»Ihr seid, was Ihr seid. Wählt Ihr nun oder bleibt Ihr hier stehen, bis Euer Freund stirbt?«
Rand merkte, dass er mit den Zähnen knirschte, und er zwang sich, seine Kiefer zu entspannen. Die Symbole hätten auch alle gleich sein können – er verstand sie sowieso nicht. Die Schrift sah aus, als hätten hier Hühner gescharrt. Schließlich entschied er sich für ein Symbol mit einem nach links zeigenden Pfeil, der nach der Toman-Halbinsel wies, und außerdem durchbrach der Pfeil den Kreis von innen her, als wolle er sich befreien, so wie er. Beinahe hätte er aufgelacht. Auf solche Kleinigkeiten verwettete er ihre Köpfe!
»Kommt näher!«, befahl Verin den anderen. »Es ist am besten, wenn Ihr ganz nahe seid.« Sie gehorchten, fast ohne zu zögern. »Es ist Zeit. Lasst uns beginnen«, sagte sie, nachdem sie sich zu ihnen gesellt hatten.
Sie warf ihren Umhang schwungvoll nach hinten und legte die Hände auf den Stein. Rand bemerkte, dass sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Er hörte nervöses Husten und Räuspern von den Männern, die rings um den Stein standen. Uno fluchte über einen Mann, der weiter hinten stand, Mat riss einen schwächlichen Witz, und Loial schluckte vernehmlich. Er suchte das Nichts.
Es war mittlerweile so leicht. Die Flamme verschlang Angst und Leidenschaft und war schon weg, kaum dass er sie herbeigerufen hatte. Weg, nur noch Leere, und dahinter leuchtete Saidin , Schwindel erregend, quälend, drehte ihm beinahe den Magen um, verführte ihn. Er … griff danach … und es erfüllte ihn, ließ ihn aufleben. Er zuckte mit keinem Muskel, doch er hatte das Gefühl, dass er unter dem Ansturm der Einen Macht erzitterte. Das Zeichen entstand vor ihm, ein Pfeil, der von innen her einen Kreis durchbohrte. Es schwebte gleich außerhalb des Nichts und schien genauso hart wie der Stoff, in den es eingemeißelt war. Er ließ die Eine Macht durch sich hindurch in das Zeichen strömen. Das Zeichen schimmerte, flackerte.
»Etwas geschieht«, sagte Verin. »Etwas …«
Die Welt flackerte.
Das eiserne Schloss rutschte über den Fußboden des Bauernhauses, und Rand ließ den heißen Teekessel fallen, als eine riesige Gestalt mit Hammelhörnern auf dem Kopf in der Tür aufragte. Dahinter lag nur die Dunkelheit der Winternacht.
»Lauf!«, schrie Tam. Sein Schwert blitzte, und der Trolloc stürzte zu Boden. Doch im Fallen noch packte er Tam und riss ihn mit sich.
Weitere drängten sich an der Tür – in schwarze Rüstungen gehüllte Gestalten mit menschlichen Gesichtern, die durch Schnauzen und Schnäbel und Hörner entstellt wurden. Gekrümmte Schwerter hieben auf Tam ein, der sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. Dornenäxte wurden geschwungen. An den Stahlschneiden leuchtete rotes Blut.
»Vater!«, schrie Rand. Er riss sein Messer aus der Scheide und warf sich über den Tisch hinweg, um seinem Vater zu helfen, und dann schrie er noch einmal auf, denn das erste Schwert durchbohrte seine Brust.
Blut wallte in seinem Mund auf, und eine Stimme in seinem Kopf flüsterte: Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin.
Flackern.
Rand bemühte sich, das Symbol im Blick zu behalten, und Verins Stimme drang ihm nur schwach ins Bewusstsein: »… ist nicht …«
Der Strom der Macht ergoss sich über ihn.
Flackern.
Rand war glücklich, nachdem er Egwene geheiratet hatte. Er ließ sich auch nicht von der düsteren Stimmung überwältigen, die manchmal in ihm aufkam, wenn er daran dachte, dass es da noch etwas anderes geben müsse, etwas ganz anderes. Die Händler brachten Neuigkeiten aus der Welt jenseits der Zwei Flüsse, und es kamen Kaufleute, um Wolle und
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