Die Jagd beginnt
handelst, als wärst du auf meiner Seite.«
»Ich bin auf deiner Seite, Schafhirte. Ein wenig. Genug, um dir auch ein wenig zu helfen.« Das Gesicht des Behüters war steinern, und mitfühlende Worte in dieser rauen Stimme klangen eigenartig. »Was du an Übung hattest, habe ich dir vermittelt, und ich will nicht, dass du kriechst und bettelst. Das Rad webt uns alle in das Muster hinein, wie es will. Du hast weniger Bewegungsfreiheit als die meisten in dieser Hinsicht, aber beim Licht, du kannst deinem Schicksal wenigstens aufrecht entgegensehen. Denke daran, wer die Amyrlin ist, Schafhirte, und zeige den ihr gebührenden Respekt, aber tu auch, was ich dir sage, und blicke ihr ins Auge. Na, und nun steh nicht da und halte Maulaffen feil. Steck dein Hemd hinein.«
Rand schloss den Mund und stopfte das Hemd in die Hose. Daran denken, wer sie ist? Licht noch mal, ich würde etwas darum geben, wenn ich vergessen könnte, wer sie ist!
Lan fuhr mit seinen Anweisungen fort, während Rand in den roten Mantel schlüpfte und sein Schwert gürtete. Was er sagen sollte und zu wem und was er nicht sagen sollte. Was er tun sollte und was nicht. Sogar, wie er sich bewegen sollte. Er war nicht sicher, ob er alles behalten konnte – das meiste klang eigenartig und leicht zu vergessen –, doch er war sicher, das, was er vergaß, würde bestimmt geeignet sein, die Aes Sedai wütend zu machen. Wenn sie das nicht schon sind. Wenn Moiraine es der Amyrlin gesagt hat, wem dann noch?
»Lan, warum kann ich nicht einfach fortlaufen, wie ich es geplant hatte? Wenn ihr schließlich klar ist, dass ich nicht komme, bin ich schon eine Meile weit weg.«
»Und sie würde Kundschafter auf deine Fährte jagen, bevor du zwei Meilen weg wärst. Was die Amyrlin will, Schafhirte, das bekommt sie.« Er zog Rands Schwertgurt zurecht, sodass die schwere Schnalle genau in der Mitte war. »Was ich tue, ist für dich das beste von allem, was in meiner Macht steht. Glaub es mir ruhig.«
»Aber warum all das? Was hat es zu bedeuten? Warum lege ich mir die Hand aufs Herz, wenn die Amyrlin aufsteht? Warum lehne ich alles bis auf Wasser ab – nicht, dass ich mit ihr essen möchte –, und tröpfle dann etwas auf den Boden und sage: ›Das Land dürstet‹? Und wenn sie mich fragt, wie alt ich bin, warum soll ich ihr dann sagen, wie lange es her ist, seit ich das Schwert bekam? Ich verstehe die Hälfte von dem nicht, was du mir gesagt hast.«
»Drei Tropfen, Schäfer, und nicht gießen. Du verspritzt lediglich drei Tropfen. Du kannst es später verstehen; Hauptsache, du erinnerst dich daran. Nimm es eben als Bräuche, die man aufrechterhalten muss. Die Amyrlin wird dich behandeln, wie sie muss. Wenn du glaubst, du könntest es vermeiden, dann glaubst du auch, du könntest wie Lenn zum Mond fliegen. Du kannst nicht entkommen, aber vielleicht kannst du ihr eine Weile die Stirn bieten und wenigstens deinen Stolz bewahren. Licht, verseng mich, ich verschwende wahrscheinlich meine Zeit, aber ich habe gerade nichts Besseres zu tun. Halt still!« Der Behüter zog ein Stück einer langen, goldenen Kordel mit Fransen aus seiner Tasche und band sie mit einem komplizierten Knoten um Rands linken Arm. Auf den Knoten steckte er eine rot emaillierte Anstecknadel: einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen. »Ich ließ das anfertigen, um es dir zu geben, und das kann ich genauso gut jetzt gleich tun. Das wird ihnen zu denken geben.« Diesmal gab es keinen Zweifel: Der Behüter lächelte.
Rand sah mit sorgenvollem Gesicht auf die Nadel hinunter. Caldazar . Der Rote Adler von Manetheren. »Ein Dorn im Fuß des Dunklen Königs«, murmelte er, »und ein Stachel in seiner Hand.« Er blickte den Behüter an. »Manetheren ist längst tot und vergessen, Lan. Es ist nur noch ein Name in einem Buch. Es gibt nur die Zwei Flüsse. Was ich auch sonst sein mag, ich bin Schäfer und Bauer. Das ist alles.«
»Nun, das Schwert, das nicht zerbrochen werden konnte, splitterte am Ende doch, aber es kämpfte bis zum letzten Hieb gegen den Schatten. Es gibt eine Regel, die über allem steht, wenn man ein Mann ist: Was auch kommt, tritt ihm aufrecht entgegen. Bist du jetzt fertig? Die Amyrlin wartet.«
Mit einem eiskalten Kloß im Magen folgte Rand dem Behüter in den Flur.
KAPITEL 8
Der Wiedergeborene Drache
R and schritt anfangs steifbeinig und nervös neben dem Behüter her. Was auch kommt, tritt ihm aufrecht entgegen. Lan hatte leicht reden. Er war nicht zur Amyrlin bestellt worden.
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