Die Jagd beginnt
ihnen nämlich nicht klar war, was sie da taten. Es kam sowieso nur in Schüben und einer Art von Anfall.
Diesmal allerdings stimmte irgendetwas nicht. Draußen stand die Morgensonne wie ein goldener Ball am klaren, blauen Himmel, und in den Gärten sangen Vögel. Doch das war nicht der springende Punkt. Es wäre ja nichts dabei gewesen, dem Wind zu lauschen, wenn man das Wetter erst dann voraussagen konnte, wenn die Anzeichen bereits sichtbar waren. Es stimmte irgendetwas mit dem Gefühl dafür nicht; es war einfach nicht so wie sonst. Der Sturm schien zu fern zu sein, um ihn überhaupt schon zu fühlen. Und doch war es ein Gefühl, als müsste es eigentlich in Strömen regnen und schneien und hageln, alles zur gleichen Zeit, und der Wind müsste mit einer Gewalt heulen, dass er die Mauern der Festung zum Erzittern brachte. Und sie konnte auch das gute Wetter fühlen, das noch tagelang anhalten würde, doch das verschwand fast unter der Last des anderen.
Ein Blaufink saß in einer Schießscharte, als mache er sich über ihr Wettergefühl lustig. Er spähte frech in den Flur hinein. Als er sie sah, verschwand er mit aufblitzenden blauen und weißen Federn.
Sie blickte auf die Stelle, wo der Vogel gesessen hatte. Es gibt einen Sturm, und es gibt ihn auch wieder nicht. Das bedeutet etwas. Aber was?
Weit hinten im von Frauen und kleinen Kindern angefüllten Flur sah sie, wie Rand davonschritt. Seine weibliche Eskorte musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Nynaeve nickte energisch. Falls es einen Sturm gab, der kein Sturm war, musste er dahinter stecken. Sie raffte ihre Röcke hoch und eilte ihm nach.
Frauen, mit denen sie sich seit ihrer Ankunft in Fal Dara angefreundet hatte, versuchten sie anzusprechen. Sie wussten, dass Rand mit ihr gekommen war und dass sie beide von den Zwei Flüssen stammten, und sie wollten wissen, warum die Amyrlin ihn zu sich bestellt hatte. Die Amyrlin! Eisklumpen in ihrem Bauch … Sie rannte los, doch bevor sie noch die Frauenquartiere verlassen konnte, hatte sie ihn in dem Gewirr von Fluren und Menschen aus den Augen verloren.
»Wohin ist er gegangen?«, fragte sie Nisura. Es war nicht nötig zu sagen, wen sie meinte. Sie hörte Rands Namen aus der Unterhaltung der Frauen heraus, die sich um die hohe Bogentür versammelt hatten.
»Ich weiß nicht, Nynaeve. Er kam so schnell heraus, als sei ihm Herzensbann persönlich auf den Fersen. Das sollte er auch, wenn man bedenkt, dass er mit einem Schwert am Gürtel hier hereinkam! Danach sollte der Dunkle König noch die geringste seiner Sorgen sein. Wohin kommen wir denn noch? Und er wird obendrein der Amyrlin in ihren Gemächern vorgestellt! Sag mal, Nynaeve, ist er wirklich in eurem Land ein Prinz?« Die anderen Frauen unterbrachen ihre Unterhaltung und schoben sich näher heran, um zu lauschen.
Nynaeve konnte später nicht mehr sagen, was sie geantwortet hatte. Es war jedenfalls etwas gewesen, was die anderen dazu brachte, sie gleich wieder laufen zu lassen. Sie eilte aus den Frauenquartieren. An jeder Kreuzung von Korridoren drehte sie den Kopf nach allen Seiten und schaute sich suchend um. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Licht, was haben sie mit ihm angestellt? Ich hätte ihn irgendwie von Moiraine wegholen müssen, das Licht blende sie. Ich bin seine Seherin.
Tatsächlich? neckte eine kleine Stimme in ihrem Inneren. Du hast Emondsfelde sich selbst überlassen. Kannst du dich mit Recht noch ihre Seherin nennen?
Ich habe Emondsfelde nicht im Stich gelassen, sagte sie sich selbst energisch. Ich holte Mavra Mallen aus Devenritt herüber, damit sie sich um alles kümmert, bis ich zurück bin. Sie kann ganz gut mit dem Bürgermeister und dem Dorfrat umgehen, und sie kommt gut mit dem Frauenkreis aus.
Mavra muss in ihr Dor f zurück. Kein Dorf kann sehr lange ohne eine eigene Seherin auskommen. Nynaeve verkrampfte sich innerlich. Es war schon Monate her, dass sie Emondsfelde verlassen hatte.
»Ich bin die Heilerin von Emondsfelde«!, sagte sie laut.
Ein livrierter Diener mit einem Stoffballen auf den Armen sah sie erstaunt an und verbeugte sich dann tief, bevor er davonhastete. Seinem Gesichtsausdruck nach war er froh, von ihr wegzukommen.
Nynaeve errötete und blickte sich um, ob jemand anders ihre Worte gehört hatte. Es befanden sich nur ein paar ins Gespräch vertiefte Männer im Flur sowie mehrere Frauen in Schwarz und Gold, die ihren Geschäften nachgingen. Sie verbeugten sich oder knicksten vor ihr, wenn sie
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