Die Jagd beginnt
liebsten ohrfeigen. Aes Sedai waren seit der Zerstörung nicht in einer Position gewesen, ganz offen Macht zu ergreifen, geschweige denn die Eine Macht offen anzuwenden, aber sie intrigierten und zogen Fäden wie Marionettenspieler, benützten Throne und Nationen als Steine auf einem Spielbrett. Irgendwie will sie mich auch benutzen. Wenn schon einen König oder eine Königin, warum dann nicht auch eine Dorfheilerin? Genauso wie bei Rand. Ich bin kein Kind mehr, Aes Sedai.
»Was werdet Ihr jetzt mit Rand anfangen? Habt Ihr ihn noch nicht genug benützt? Ich weiß nicht, warum Ihr ihn nicht gedämpft habt, nachdem ja jetzt die Amyrlin mit all diesen anderen Aes Sedai hier ist, aber Ihr werdet schon einen Grund haben. Das muss wieder so eine Intrige sein, die Ihr ausgebrütet habt. Wenn die Amyrlin wüsste, was Ihr vorhabt, dann wette ich, sie …«
Moiraine schnitt ihr das Wort ab. »Welches Interesse könnte die Amyrlin schon an einem Schäfer haben? Natürlich, wenn ihre Aufmerksamkeit auf die falsche Weise auf ihn gelenkt würde, könnte es sein, dass er gedämpft oder sogar getötet würde. Schließlich ist er ja, was er ist. Und es herrscht ein beachtlicher Zorn wegen letzter Nacht. Jeder sucht nach einem Schuldigen.« Die Aes Sedai schwieg, und das Schweigen zog sich in die Länge. Nynaeve blickte sie an und knirschte mit den Zähnen.
»Ja«, sagte Moiraine schließlich, »es ist viel besser, keine schlafenden Löwen zu wecken. Am besten kümmert Ihr Euch jetzt um Euer Gepäck.« Sie ging in die gleiche Richtung weg, in die Lan gegangen war. Sie schien dabei über den Boden zu gleiten.
Nynaeve zog eine Grimasse und schlug mit der Faust gegen die Wand. Der Ring schnitt ihr in die Handfläche. Sie öffnete die Hand und sah ihn an. Der Ring schien ihren Zorn noch anzuheizen. Er wirkte wie ein Brennpunkt für ihren Hass. Ich werde es lernen. Du glaubst, du kannst mir entkommen, weil du es bereits kannst. Aber ich werde es besser lernen, als du glaubst, und ich werde dich stürzen. Du hast schon zu viel angestellt. Ich werde vergelten, was du Mat und Perrin angetan hast. Und Rand … Das Licht helfe ihm, und der Schöpfer beschütze ihn. Ganz besonders um Rands willen. Ihre Hand schloss sich um den schweren Goldreif. Und auch meinetwegen.
Egwene sah zu, wie das livrierte Stubenmädchen ihre Kleider zusammenfaltete und in eine lederbezogene Reisetruhe legte. Sie fühlte sich auch nach beinahe einem Monat der Übung immer noch nicht wohl dabei, wenn jemand anders machte, was sie gut auch selbst tun könnte. Es waren solch schöne Kleider, alles Geschenke von Lady Amalisa, wie auch das graue Seidenkleid, das sie trug, obwohl es einfach gestaltet war, lediglich mit ein paar auf die Brust gestickten weißen Morgensternchenblüten verziert. Viele der anderen Kleider waren dagegen reich geschmückt. Jedes davon würde am Sonnentag oder jedem anderen Festtag besonders auffallen. Sie seufzte, als sie daran dachte, dass sie am nächsten Sonnentag nicht in Emondsfelde, sondern in Tar Valon sein würde. Aus dem wenigen, was ihr Moiraine über die Ausbildung der Novizinnen erzählt hatte – wirklich beinahe gar nichts – schloss sie, dass sie möglicherweise noch nicht einmal im Frühling zum Sonnentag zu Hause sein würde.
Nynaeve steckte den Kopf ins Zimmer. »Bist du fertig?« Sie kam vollends herein. »Wir müssen bald unten im Hof sein.« Auch sie trug ein Reitkleid aus blauer Seide mit roten Schleifen auf dem Busen. Ein weiteres Geschenk von Amalisa.
»Beinahe, Nynaeve. Es tut mir fast schon Leid, abreisen zu müssen. Ich glaube kaum, dass wir in Tar Valon viele Gelegenheiten haben werden, die schönen Kleider zu tragen, die uns Amalisa gab.« Sie lachte kurz auf. »Aber, liebe Heilerin, ich werde es nicht vermissen, mich beim Baden ständig umschauen zu müssen, ob ein Mann kommt.«
»Es ist viel besser, allein zu baden«, sagte Nynaeve kurz angebunden. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht, doch nach einem Moment färbten sich ihre Wangen rot.
Egwene lächelte. Sie denkt an Lan. Es war immer noch ein eigenartiges Gefühl, sich vorzustellen, dass Nynaeve, die Dorfheilerin, hinter einem Mann her war. Sie hielt es nicht für angebracht, das Nynaeve so deutlich wissen zu lassen, aber in letzter Zeit hatte sich die Heilerin manchmal wirklich genauso töricht benommen wie jedes Mädchen, das ihr Herz an einen bestimmten Mann verloren hatte. Und dann noch an einen, der nicht genug Verstand hatte, um ihrer würdig
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