Die Jagd des Adlers
rechtzeitig, etwas Derartiges nicht zu tun. Er hatte einen Befehl gegeben – und mehr gab es nicht zu sagen. Es hatte keinen Sinn, die Hilfstruppen in einer wilden und gefährlichen Jagd durch die engen Gassen Jerusalems zu hetzen. Stattdessen deutete Cato auf die umgestürzten Tische und die toten und verwundeten Opfer der Sikarier.
»Helft ihnen, so gut ihr könnt.«
Der Optio salutierte, gab den Befehl an seine Männer weiter und eilte mit ihnen den Trümmern zu, die von den Tischen der Steuereintreiber noch übrig waren.
Die Anstrengung hatte Cato erschöpft. Er schob sein Schwert und seinen Dolch zurück und beugte sich vornüber, wobei er sich mit den Händen auf die Oberschenkel stützte.
»Das war ein geschickter Zug.« Macro lächelte und deutete mit der Spitze seines Schwerts auf die zerschmetterte Amphore mit dem Olivenöl. »Hat uns unsere Haut gerettet.«
Cato schüttelte den Kopf und holte tief Luft, bevor er antwortete. »Wir sind eben erst in dieser Stadt angekommen … Wir haben noch nicht einmal die verdammte Garnison erreicht, und schon schneidet uns jemand fast die Kehle durch.«
»Welch ein Empfang!« Macro zog eine Grimasse. »Weißt du, ich frage mich so langsam, ob der Prokurator uns zum Narren gehalten hat.«
Cato sah ihn mit fragender Miene an.
»Herzen und Köpfe.« Macro schüttelte den Kopf. »Ich habe immer mehr den Eindruck, dass sich die Leute hier nicht für die Idee erwärmen können, ein Teil des römischen Reiches zu sein.«
KAPITEL 2
H erzen und Köpfe?« Centurio Florianus lachte, als er den Neuankömmlingen Wasser einschenkte, das mit einem Hauch Zitronensaft versetzt war, und die Becher über den Marmortisch in seinem Büro schob. Sein Quartier befand sich in einem der Türme, die zu der massiven Festung namens Antonia gehörten, welche von Herodes dem Großen errichtet und nach dessen Förderer Marcus Antonius benannt worden war. Im Augenblick lagen hier die römischen Truppen in Garnison, die in Jerusalem für Sicherheit und Ordnung sorgen sollten. Von dem kleinen Balkon aus, der sich an das Büro anschloss, hatte man eine gute Aussicht über den Tempel und die Altstadt dahinter. Kurz zuvor hatten die entsetzten Schreie der Menge Florianus aufgeschreckt, und er war Zeuge des verzweifelten Scharmützels geworden, das sich Macro und Cato mit den Sikariern geliefert hatten.
»Herzen und Köpfe«, wiederholte er jetzt. »Hat der Prokurator das wirklich gesagt?«
»Allerdings.« Macro nickte. »Und sogar noch mehr. Er hat eine richtige Rede darüber gehalten, wie wichtig es ist, für ein gutes Verhältnis zu den Judäern zu sorgen.«
»Ein gutes Verhältnis?« Florianus schüttelte den Kopf. »Das ist lächerlich. Man kann kein gutes Verhältnis zu Menschen haben, die einen zutiefst hassen. Sie würden jedem von uns ein Messer in den Leib rammen, sollten wir so verrückt sein, ihnen den Rücken zuzuwenden. Diese verdammte Provinz ist eine einzige Katastrophe, und das war sie schon immer. Sogar als wir Herodes und seinen Nachfolgern die Führung überlassen hatten.«
»Wirklich?« Cato legte den Kopf auf die Seite. »In Rom hört man da etwas anderes. Nach allem, was ich weiß, spricht man davon, dass sich die Situation in der Provinz nach und nach verbessert. Zumindest war das die offizielle Linie.«
»Aber sicher. Genau das wird den Leuten erzählt.« Florianus lachte bitter. »Die Wahrheit ist, dass wir außer den großen Städten und Siedlungen keinen Teil des Landes kontrollieren. Auf allen Verbindungsstraßen treiben Räuber und Briganten ihr Unwesen. Und selbst in den größeren Ansiedlungen gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen politischen und religiösen Gruppen, die um möglichst viel Einfluss bei ihren Leuten kämpfen. Und noch etwas anderes ist auch nicht besonders hilfreich: Es gibt so viele Dialekte, dass Griechisch die einzige gemeinsame Sprache ist; aber nur wenige hier beherrschen sie. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass es zu irgendwelchen Problemen zwischen Idumäern, Samaritern oder wem auch immer kommt. Die Dinge geraten außer Kontrolle. Die Männer, gegen die ihr im Außenhof des Tempels gekämpft habt, gehören zu einer der vielen Banden, die sich von den verschiedenen politischen Gruppen anheuern lassen. Diese Gruppen benutzen die Sikarier, um Konkurrenten zu beseitigen oder eine politische Aussage zu machen – wie bei der Demonstration heute Morgen.«
»Das war eine Demonstration?« Macro schüttelte verwirrt den
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