Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Großeltern.
Meiner Mutter passte das, wie gesagt, gar nicht, und sie setzte alles daran, die beiden so schnell wie möglich wieder loszuwerden, aber das war gar nicht so einfach, denn sie waren ja zu alt, um noch arbeiten zu gehen. Und es mussten erst jede Menge Formulare ausgefüllt werden, bevor sie etwas Geld vom Staat bekamen. Als es soweit war, zogen sie in eine eigene Wohnung am anderen Ende des Ortes, und meine Mutter beruhigte sich ein wenig.
Ich muss damals ungefähr sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein … Ja, ich glaube, es war das Jahr, in dem ich eingeschult wurde.
Die Schule mochte ich von Anfang an nicht, weil es mir schwer fiel, lange still zu sitzen und mich auf das zu konzentrieren, was die Lehrer sagten. Aber ich fand schnell ein paar Freundinnen, so dass ich letztlich doch ganz gerne hinging. Außer, wenn die Jungen mich wegen meines Aussehens hänselten. Ich sah damals nämlich selbst wie ein Junge aus, musst du wissen. Aber das lag nicht an mir, sondern an meiner Mutter, die mir verbot, Röcke anzuziehen. Oder Kleider.
Rosemaries Oma sagte immer, das käme davon, dass meine Mutter sich einen Sohn gewünscht, aber keinen bekommen habe. Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber weit schlimmer als die ewigen Hosen war die Angst, die meine Mutter immer um mich hatte. Was das betrifft, sind Jasper und sie sich gar nicht so unähnlich. Ich habe keine Ahnung, wovor sie sich fürchtete, aber sie wollte ständig wissen, was ich mache und wo ich hingehe. Und wenn ich vom Spielen nach Hause kam, kontrollierte sie immer, ob ich mich auch ja nicht irgendwo verletzt hatte. Vielleicht lag das daran, dass ich als kleines Kind mal fast tot gewesen bin, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass ich irgendwelche Pillen geschluckt habe, die meine Mutter aus Versehen herumliegen ließ, auch wenn sie noch Jahre später behauptete, niemals so nachlässig gewesen zu sein.
Verhoeven tauschte einen Blick mit Winnie Heller. „Pillen, hm?“
Sie nickte. „Darüber bin ich auch schon gestolpert.“
Mein Opa meinte, die Dinger hätten süß geschmeckt, und da hätte ich wohl gedacht, es sei was zum Naschen. Wie auch immer, mir wurde jedenfalls der Magen ausgepumpt und es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich wieder nach Hause durfte, aber das einzige, was ich aus dieser Zeit noch weiß, ist, dass mir einer von den Ärzten einen Lutscher geschenkt hat. Der schmeckte ganz toll nach Kirschen und hinterher war meine Zunge ganz rot.
Apropos Kirschen … Ich wollte ja noch backen. Versunkener Kirschkuchen, da ist Jasper hinterher wie der Teufel hinter der armen Seele! Er hat gestern Abend vier Kilo angeschleppt, geklaute natürlich, obwohl Kirschen zurzeit irrsinnig billig sind. Na, wenigstens hat er sich endlich herabgelassen, mir frisches Mehl mitzubringen, das alte war schon ganz klumpig.
Bis zum nächsten Mal also,
Lilli
Verhoeven sah hoch . „Ist das alles?“
Winnie Heller nickte. „Das und der Eintrag vom Tag ihres Todes.“
„Also insgesamt drei Einträge“, resümierte er. „Geschrieben am dritten, zehnten und vierundzwanzigsten Juli.“ Er griff hinter sich und zog einen Taschenkalender aus der Tasche seines Jacketts. „Das sind alles Dienstage“, befand er mit einem flüchtigen Blick auf die Monatsübersicht. „Und nach allem, was mir die Kollegen berichtet haben, war Fennrich regelmäßig dienstags und donnerstags außer Haus, um die Einkäufe zu erledigen.“
„Dann hatte sie also freie Bahn“, nickte Winnie.
„Ich frage mich nur …“
„Was?“
Verhoeven kaute gedankenverloren auf seiner Unterlippe. „Warum es keinen Eintrag für den Siebzehnten gibt.“
„Vielleicht hatte Lilli an diesem Tag keine Zeit zum Schreiben“, schlug Winnie Heller vor. „Immerhin musste sie am zehnten ja auch aufhören, weil sie noch Kirschkuchen zu backen hatte.“
„Oder aber das Blatt für den Siebzehnten ist verschwunden …“
Sie starrte ihn an. „Aber wer sollte den Eintrag entfernt haben? Fennrich?“
Er schüttelte den Kopf. „ In diesem Fall hätte er alle Briefe verschwinden lassen, meinen Sie nicht?“
„Warten Sie, da fällt mir etwas ein !“ Sie wühlte in den Papieren. „Am Tag ihrer Ermordung hat Lilli Dahl etwas notiert, aus dem hervorgeht, dass ihr Mann ihr Versteck nicht kannte und auch keinen Schimmer von der Existenz dieser Aufzeichnungen hatte.“ Ihre Augen glitten über die engen Zeilen, die an dieser Stelle arg
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