Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
durcheinander purzelten. So als sei die Schreiberin fürchterlich in Eile gewesen. „Hier ist es“, rief sie. „Es hat wohl ein Gewitter gegeben und Fennrich ist an diesem Tag früher nach Hause gekommen …“
Verhoeven schürzte die Lippen. „Was soll das heißen, früher?“
„Jedenfalls lange bevor Lilli ihn zurückerwartet hat“, entgegnete sie. „Sie scheint von seiner Rückkehr überrascht worden zu sein. Hier steht : Ich möchte bloß wissen, warum Jasper heute so früh zurück ist. Wenn man etwas dreißig Jahre lang so und so gemacht hat, macht man es doch nicht einfach auf einmal anders. … Und dann brüstet sie sich damit, wie schnell und routiniert sie ihre Schreibsachen verstecken kann.“ Sie unterbrach sich und sah ihn erwartungsvoll an. „Meinen Sie, dass es ihr dieses eine Mal nicht gelungen ist, das Zeug rechtzeitig in Sicherheit zu bringen? Dass Fennrich es gefunden hat?“
„Wenn es so wäre“, wandte er ein, „dann würde er die Briefe doch kaum wieder versteckt haben, oder?“
Das schien sie zu überzeugen, denn sie senkte nachdenklich den Blick.
„Aber, sagen Sie …“
Sie sah hoch. „Was?“
„W ist eigentlich dieser Rittersporn?“
Winnie Heller runzelte die Stirn. „Was für ein Rittersporn?“
„Lilli Dahl schreibt, dass ihrem Rittersporn ein bisschen Regen gut täte“, entgegnete er. „Nur sehe ich hier leider keinen Rittersporn.“
Ihr Gesichtsausdruck verriet , dass sie diesen Aspekt für absolut unwichtig hielt.
Verhoeven winkte resigniert ab. „Vergessen Sie’s.“
„Glauben Sie, dass Lilli Dahl verrückt war?“, fragte sie geradeheraus.
„ Der Kollege in der Hütte hat gesagt, dass sie schon vor ihrer Heirat mit Jasper Fennrich krank gewesen sei.“ Er seufzte. „Auch hier oben, wenn’s stimmt, was man so hört“, zitierte er in möglichst neutralem Ton.
„Also war sie nicht ganz dicht.“
„Nicht unbedingt. Vielleicht hat sie auch einfach in einer Art Phantasiewelt gelebt.“
„Was ja kein Wunder wäre, wenn er sie dreißig Jahre ihres Lebens in dieser Einöde festgehalten hat“, bemerkte Winnie Heller trocken.
Doch Verhoevens Blick klebte an einem Namen fest: Edda Bender . „Haben Sie die Stelle über das verschwundene Mädchen gelesen?“
Sie nickte, und er berichtete kurz von seiner Begegnung mit Brüning. „Und die Kollegen hier behaupten, Fennrich habe mal in Verdacht gestanden, ein Kind entführt zu haben“, schloss er.
Winnie Hellers Blick ging aufs Wasser, das sich im Wind kräuselte. „Eigenartig“, murmelte sie . „Aber müsste diese Sache, von der Lilli Dahl schreibt, nicht irrsinnig lange her sein? So, wie sie das Ganze schildert, klingt es doch, als sei sie damals selbst noch ein Kind gewesen, oder?“
Er überflog die betreffende Stelle ein weiteres Mal. „Stimmt“, sagte er.
„ Trotzdem könnte es etwas mit unserem Fall zu tun haben.“
„Ja, vielleicht.“
Aus weiter Ferne drang ein leises Donnergrollen zu ihnen herüber.
„Falls Fennrich dieses Mädchen, Edda Bender, damals tatsächlich entführt hat, wäre es ihm doch bestimmt nicht recht, wenn seine Frau etwas darüber in ihr Tagebuch schreibt, meinen Sie nicht?“
„Womit Sie schon wieder voraussetzen, dass er von ihren Aufzeichnungen wusste“, befand Verhoeven, ohne eine Miene zu verziehen.
Ihre Finger zupften einen Splitter aus der Planke, auf der sie saßen. „Und wenn es gar nicht Fennrich gewesen ist, den Lilli am Tag ihrer Ermordung kommen hörte?“
„Wer sollte es sonst gewesen sein?“
„Keine Ahnung. Ein Fremder.“
„Auf Fennrichs Motorrad?“
„Lilli könnte sich geirrt haben“, beharrte sie. „Immerhin schreibt sie sogar selbst, dass sich die Schritte ihres Mannes an diesem Tag ganz anders anhören. Und sie war ganz eindeutig beunruhigt.“ Ihr Zeigefinger fuhr suchend über das Blatt. „Hier: Ich höre seine Schritte. Aber sie klingen merkwürdig. Irgendwie anders als sonst …“
„Vielleicht war sie einfach nur argwöhnisch, weil sie etwas Verbotenes tat“, hielt Verhoeven ihr entgegen. „Etwas, von dem sie wusste, dass es ihren Mann entsetzlich wütend machen würde, wenn er es wüsste. Immerhin hat sie an diesem Tag gleich zwei Dinge getan, die den Vorschriften ihres Mannes zuwiderliefen.“
„Briefe schreiben und …?“
„Briefe schreiben und das Haus verlassen“, antwortete er, indem er auf eine Stelle ein Stück weiter oben tippte. „Sie hatte Kopfschmerzen und ist an die so genannte frische Luft
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