Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Motiv für den Mord an Lilli Dahl.“
Hinnrichs machte eine wegwerfende Handbewegung und griff nach seiner Zigarette, die qualmend auf dem Rand eines quadratischen schwarzen Marmoraschenbechers hing. „Manchmal genügt eine Kleinigkeit.“
Genau dasselbe hat Brüning auch gesagt, dachte Verhoeven. Mittagessen pünktlich um zwölf, jeden Februar an die Riviera und eines Tages … Zack!
„Sie haben ein Geständnis“, bemerkte sein Vorgesetzter, indem er Verhoeven über den Rand seiner Brille hinweg einer gründlichen Musterung unterzog. „Was in aller Welt wollen Sie denn noch?“
„Es gibt da ein paar Ungereimtheiten.“
„Ungereimtheiten?“
Verhoeven überlegte, ob er von seiner Begegnung mit Brüning berichten sollte. Von dem Kind, das verschwunden war, am selben Tag, an dem Fennrich seine Frau getötet hatte. Und von dieser alten Geschichte. Von Edda Bender, die gleichfalls verschwunden und nie wieder aufgetaucht war.
Soweit ich weiß, gab’s mal Gerüchte …
Verhoeven suchte seine Hosentaschen nach einem Taschentuch ab. Sollte er seinem Vorgesetzten von diesen Gerüchten erzählen? Waren sie überhaupt relevant? „ Lilli Dahl hat ein paar Aufzeichnungen hinterlassen“, berichtete er, um Zeit zu gewinnen. „Darin schildert sie, wie sie in der Hütte am See gefangen gehalten wurde.“ Er zögerte, bevor er hinzufügte: „Wahrscheinlich über einen sehr langen Zeitraum.“
„Wie lange?“
„Dreißig Jahre.“
„Dreißig Jahre?“ Auf Hinnrichs’ Stirn bildete sich eine tiefe, ungläubige Furche. „Das klingt mehr als unwahrscheinlich“, befand er nach kurzer Überlegung. Dann schob er sich seine Zigarette zwischen die Lippen und stand auf. Sein lederner Chefsessel ächzte, als sei er eine zentnerschwere Last losgeworden, während Hinnrichs mit langen, ausladenden Schritten zum Fenster lief.
Verhoeven sah ihm nach. Sie waren in etwa gleich groß, sein Boss und er. Etwas mehr als einen Meter achtzig. Doch während seine Figur der eines schlaksigen Jünglings glich, strahlte jeder Zentimeter von Hinnrichs’ Körper Energie und Präsenz aus. Verhoeven wusste nicht viel über ihn, nur, dass er einen Segelschein besaß und Tennis spielte. Letzteres allerdings mehr aus gesellschaftlichem und politischem Kalkül denn aus echter Leidenschaft heraus, wie man hörte. Verhoeven selbst hatte als Teenager ein paar Jahre gespielt, in einem Verein, dessen Mitgliedsbeitrag er sich mühsam durch das Austragen von Zeitungen verdient hatte,´´. Und manchmal fragte er sich im Stillen, ob er gegen Hinnrichs gewinnen könne, falls dieser je auf die Idee käme, ihn zu einem Match einzuladen. Er war recht begabt gewesen, damals als Junge. Mit einem guten Auge und schnellen Reaktionen. Aber er war auch stets ein Schönwettersportler gewesen. Einer, der leicht ermüdete und der die schnelle Entscheidung am Netz suchen musste, um zu gewinnen. Und wann immer ein Match länger als drei Sätze gedauert hatte, war er als Verlierer vom Platz gegangen …
Als habe er die Gedanken seines Untergebenen gelesen, kam Hinnrichs in diesem Augenblick mit athletischen Schritten zum Schreibtisch zurück und rammte den Rest seiner Zigarette in den Aschenbecher. Kommen Sie mir bloß nicht dumm, mein Lieber , schien sein wie immer leicht herausfordernder Blick zu sagen. Und sollten Sie je auf den Gedanken kommen, sich mit mir anlegen zu wollen, ziehen Sie sich warm an!
„Ich möchte einfach herausfinden, was gestern Abend in dieser Hütte passiert ist“, insistierte Verhoeven, nachdem sein Vorgesetzter wieder Platz genommen hatte. „Und warum.“
„Zwei Tage“, brummte Hinnrichs und griff nach dem Glas Wasser, das vor ihm auf dem soliden Eichenholzschreibtisch stand. „Und das auch nur, wenn nichts anderes dazwischen kommt, haben Sie verstanden?“
Verhoeven lächelte knapp. „Danke.“
Das Leder in Hinnrichs’ Rücken knarzte, als er sich zurücklehnte. „Und wie macht sich die Heller?“
„Gut.“
„Keine Vorbehalte mehr?“
Verhoeven schüttelte in ehrlicher Überzeugung den Kopf. Genau genommen hatte er niemals Vorbehalte gegen Winnie Heller gehabt. Er hatte sich nur einfach nicht vorstellen können, mit jemand anderem als mit Karl Grovius zusammenzuarbeiten . Dem Mann, der sein Ausbilder und Trauzeuge gewesen war, sein Mentor, Ersatzvater, was auch immer. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Grovius und Schmitz, dachte er. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Und doch
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