Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Primaten getötet, die Kadaver entsorgt und den ganzen Ort mit Chemikalien beschossen. Einige Tage lang war das Primatenhaus in Reston der einzige Ort auf Erden, an dem nichts und niemand lebte.«
Julie schüttelte sich bei der Vorstellung, es könne einen Ort geben, der bar allen Lebens war; an dem nicht mal mehr Viren existierten.
» Wir hatten aber Glück. Die Krankheit hat sich nur in bestimmten affenartigen Spezies manifestiert. Die Arbeiter im Affenhaus haben sich das Virus zwar zugezogen, aber nie irgendwelche Symptome gezeigt. Heute laufen in den USA wahrscheinlich Tausende mit Ebola Reston aus diesem kleinen Ausbruch herum. Gott weiß, was passiert wäre, wenn es eine andere Krankheit gewesen wäre.«
» Sie glauben also, dass es auch Affen gibt, die den Morgenstern-Erreger verbreiten? Na und? Die bleiben doch in Afrika.«
» Genau.« Anna biss in ihren Toast. » Der Erreger braucht menschliche Wirte, um sich zu verbreiten; solche, die anfällig für ihn sind. Also könnten wir ihn theoretisch eindämmen, indem wir seine menschlichen Wirte isolieren.«
» Yeah, aber wenn nur ein Überträger die Blockade durchbricht…«
» An so etwas wollen wir gar nicht erst denken. Eins möchte ich aber sagen, solange die Isolationstheorie noch gültig ist: Afrika ist ein verdammt großer Kontinent. Es gibt keine Möglichkeit, jeden Kleinsthafen abzusperren, ohne unsere Front so zu verdünnen, dass sie nichts mehr bringt. Wir haben aber sämtliche von Afrika wegführenden Landwege gut abgeriegelt, so dass wir vielleicht sicher sind, solange kein Überträger Schiffe steuern oder Flugzeuge fliegen kann.«
» Ja, genau«, sagte Julie. » Aber das weiß ich längst alles. Über all dies debattieren wir schon seit Wochen mit den Schwafelköpfen der großen Sendernetze. Was ist das große Geheimnis, das Sie mir verraten wollen?«
» Na schön«, sagte Anna. » Vielleicht stellen Sie den Kaffee erst mal hin.« Sie deutete mit dem Kinn auf die Tasse in Julies Händen.
Julie stellte sie langsam hin.
» Sind Sie bereit?«
Julie nickte und beugte sich erwartungsvoll vor.
» Der Morgenstern-Erreger reanimiert Tote«, sagte Anna leise.
Julie blinzelte die Ärztin an. Dann kicherte sie. » Sie wollen mich wohl verarschen. Ich hab mit wissenschaftlichen Fakten gerechnet, nicht mit Fiktionen.«
» Es ist eine wissenschaftliche Tatsache«, sagte Anna. Sie zog einen gefalteten Umschlag aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. » Hier.«
Julie entnahm dem Umschlag seinen Inhalt: medizinische Diagramme, Röntgenbilder, grafische Darstellungen und einige auf Hochglanzpapier abgezogene Schwarz-Weiß-Fotos. Diese schaute sie sich an und legte alles andere erst einmal beiseite.
Das erste Bild zeigte einen Mann um die dreißig. Er war an einen Untersuchungstisch geschnallt. Sein Gesicht war von einem animalischen Fauchen verzerrt, und er war von Schweiß bedeckt. Sein Haar war strubbelig. Er sabberte leicht. Eine seiner Hände war blutig, seine Haut war überall zerkratzt, als wäre er durch eine Dornenhecke gerannt.
» Das ist Dr. Klaus Mayer«, erläuterte Anna. » Die Luftwaffe hat ihn in den ersten Tagen der Epidemie aus einem Krankenhaus in Mombasa zu uns gebracht. Was Sie hier sehen, ist ein Mensch, der dem Morgenstern-Erreger zum Opfer gefallen ist. Im Moment dieser Aufnahme hatte er einundvierzig Grad Fieber. Puls und Atmung waren schnell, seine Hirnwellen höchst erratisch. Er war jedem Leben in seiner Umgebung gegenüber unverhohlen feindselig eingestellt. Wir haben Versuche gemacht und festgestellt, dass er nicht nur Menschen gegenüber feindselig war. Er reagierte ebenso auf Laborratten, die wir im Raum zurückließen– sowie auf Kaninchen, Ziegen und alles, was Pulsschlag hatte. Dies ist die Seite des Morgenstern-Virus, mit der Sie vertraut sind.«
» Ja.« Julie nahm die Aufnahme genauer in Augenschein. » Ich habe Fotos anderer Opfer gesehen. Die sehen alle so aus wie dieser Mayer.«
» Schauen Sie sich das nächste Bild an.«
Julie nahm sich das zweite Foto vor. Es zeigte Ärzte in Chirurgenkitteln, die sich um Klaus Mayer scharten. Julie erkannte Anna– trotz Schutzbrille und Gesichtsmaske. Im Vordergrund stand ein Mann, der ein Gewehr in den Händen hielt. Julie spürte, dass ihr Magen sich verknotete.
» Wir hatten zu diesem Zeitpunkt unserer Studien einige neue Informationen von einem hochrangigen Offizier erhalten«, erläuterte Anna. General Shermans Namen musste sie natürlich verschweigen. »
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