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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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Kivrin erwartete Zorn oder Schrecken in ihrem Gesicht, aber keines von beiden war darin zu erkennen. Sie sah ihre Schwiegermutter beinahe gleichgültig an, als wären ihre Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt.
    »Der Herr straft Ehebrecher und ihr ganzes Haus«, sagte Imeyne, »wie Er jetzt dich straft.« Sie schwang das Stundenbuch vor ihrem Gesicht. »Deine Sünde ist es, die uns die Pest gebracht hat.«
    »Du warst es, die zum Bischof schickte«, erwiderte Eliwys kalt. »Du warst mit Pater Roche nicht zufrieden. Du brachtest sie hierher, und die Pest mit ihnen.«
    Sie wandte sich um und ging zum Durchgang hinaus.
    Imeyne stand steif, als hätte man sie geschlagen, dann ließ sie sich bei der Bank, auf der sie gesessen hatte, auf die Knie nieder, nahm das Reliquiar aus ihrem Buch und ließ den Rosenkranz durch ihre Finger gehen.
    »Erzählst du mir jetzt eine Geschichte«, sagte Agnes.
    Imeyne stützte die Ellbogen auf die Bank und drückte die Hände gegen ihre Stirn.
    »Erzähl mir die Geschichte von dem bösen Mädchen«, sagte Agnes.
    »Morgen«, sagte Kivrin. Sie erhob sich mit dem Kohlenbecken und trug es die Treppe hinauf.
    Das Fieber des Kranken war wieder gestiegen. Er phantasierte, stieß mit lallender, krächzender Stimme die lateinischen Gebete der Totenmesse hervor, als wären es Flüche. Wiederholt bat er um Wasser, und Kivrin mußte wieder hinunter zum Hof, um frisches Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen.
    Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hinunter, den Holzeimer und eine Kerze in den Händen und beseelt von der Hoffnung, daß Agnes sie nicht sehen würde, aber alle bis auf Frau Imeyne schliefen. Sie kniete betend am Feuer, steif und unversöhnlich. Du hast dies über uns gebracht.
    Kivrin tappte hinaus auf den dunklen Hof. Zwei Glocken läuteten in der Ferne, nicht ganz im Gleichtakt miteinander, und sie überlegte, ob sie zur Vesper läuteten oder zu Begräbnissen. Beim Brunnentrog stand ein zur Hälfte gefüllter Holzeimer, aber sie ließ ihn stehen und zog mit ihrem Eimer frisches Wasser herauf. Sie stellte den Eimer neben dem Eingang zum Küchenhaus ab und ging hinein, um etwas zu essen mitzunehmen. Die schweren Tücher, die man zum Zudecken der Speisen verwendete, wenn sie ins Herrenhaus getragen wurden, lagen am Ende des Tisches, der als Anrichte diente. Sie legte Brot und ein Stück kaltes Fleisch auf eines der Tücher und band die vier Zipfel zusammen. Als sie mit dem Bündel und dem Eimer den Hof überquerte, begegnete ihr Pater Roche, der von der Kirche zurückkam. Gemeinsam trugen sie Wasser und Essen hinauf in die Kammer, setzten sich vor das Kohlenbecken auf den Boden und aßen. Schon nach den ersten Bissen fühlte sie sich besser.
    Der Zustand des Sekretärs schien sich nicht verschlechtert zu haben. Er schlief wieder, hatte dann aber einen Schweißausbruch. Kivrin befeuchtete das derbe Tuch aus der Küche und wischte ihm den Schweiß damit ab, und er seufzte und schlief wieder ein. Als er erwachte, hatte das Fieber nachgelassen. Sie schoben die Truhe neben das Bett, stellten ein Talglicht darauf, und sie und Pater Roche saßen abwechselnd bei ihm und ruhten auf der Bank am Fenster. Es war zu kalt, um wirklich zu schlafen, aber Kivrin rollte sich zusammen und schlummerte wiederholt für kurze Zeit ein. Als sie an der Reihe war, die Krankenwache zu übernehmen, schien der Zustand des Sekretärs sich weiter gebessert zu haben. Er lag ruhig und schlief.
    Sie hatte gelesen, daß die Pestärzte des Mittelalters durch das Aufschneiden der Pestbeulen bisweilen einen Patienten gerettet hatten. Die Beule unter dem Arm des Sekretärs entließ kein Eiter mehr, und das Röcheln war aus seinem Atem gewichen. Vielleicht würde er doch nicht sterben.
    Manche Historiker waren der Auffassung, der Schwarze Tod habe nicht so viele Menschen getötet, wie die mittelalterlichen Aufzeichnungen angaben. Mr. Gilchrist hielt die Zahlen für stark übertrieben und machte dafür die Furcht und den niedrigen Bildungsstand der Zeitgenossen verantwortlich, aber auch die unwissenschaftliche Neigung der meisten Menschen, die Bedeutung eines Ereignisses durch viel zu hoch angesetzte Schätzungen zu steigern. Selbst wenn die Statistiken richtig waren, hatte die Pest nicht alle Dörfer gleich verheerend heimgesucht. In manchen Orten war weniger als ein Drittel der Bevölkerung an der Seuche gestorben, in einigen Orten hatte es nur wenige Fälle gegeben. Verschiedene abgelegene Dörfer waren sogar ganz verschont

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