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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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verantwortlich gemacht. Und man hatte nach den Abgesandten und Agenten des Teufels gesucht, Juden und Leprakranke hingerichtet, alte Frauen gesteinigt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
    »Niemand hat sie geschickt«, sagte Kivrin. »Wie ich sagte, es ist eine Krankheit und niemandes Schuld. Sehen wir sie als eine Zeit der Prüfung, in der jeder sich bewähren kann, im Leben wie im Sterben.«
    »Und wir müssen an Seiner statt handeln?« fragte Pater Roche.
    »Ja.«
    Er kniete neben dem Bett nieder, beugte den Kopf über die gefalteten Hände und hob ihn wieder. »Ich wußte, daß Gott Euch aus einem guten Grund zu uns geschickt hat«, sagte er.
    Auch sie kniete nieder und faltete die Hände.
    »Mittere digneris sanctum Angelum«, betete Pater Roche. »Sende uns deinen heiligen Engel vom Himmel, um alle zu bewahren und zu schützen, die in diesem Haus versammelt sind.«
    »Laß nicht zu, daß Pater Roche erkrankt«, murmelte Kivrin ins Aufnahmegerät. »Laß nicht zu, daß Rosemund und Agnes erkranken. Laß den Sekretär sterben, bevor die Pest seine Lungen erreicht.«
    Pater Roches betende Stimme war genauso wie sie gewesen war, als Kivrin im Fieber gelegen hatte, und sie hoffte, daß der Kranke den gleichen Trost darin finden würde, den sie gefunden hatte. Sie konnte es ihm nicht ansehen. Er war außerstande, die Beichte abzulegen, und die Ölung schien ihn zu schmerzen. Er zuckte, als das Öl seine Handflächen berührte, und sein röchelndes Atmen schien lauter zu werden, während Pater Roche betete. Überall an den Armen des Kranken zeigten sich jetzt die kleinen purpurblauen Blutergüsse, die das Platzen der feinen Adern unter der Haut anzeigten.
    Roche richtete sich auf, wandte den Kopf und sah Kivrin an. »Sind dies die letzten Tage?« fragte er. »Das Ende der Welt, wie Gottes Apostel es weissagten?«
    Ja, dachte Kivrin. »Nein«, sagte sie. »Nein. Es ist nur eine schlechte Zeit. Eine furchtbare Zeit, aber nicht alle werden sterben. Und es wird wundervolle Zeiten nach dieser geben. Die Renaissance und das Ende der Leibeigenschaft und Musik. Wundervolle Zeiten. Es wird neue Heilmittel geben, und die Menschen werden nicht mehr an dieser Krankheit, an Pocken oder Lungenentzündung sterben müssen. Und alle werden genug zu essen haben, und ihre Häuser werden auch im Winter warm sein.« Sie dachte an Oxford in der Vorweihnachtszeit, mit den beleuchteten und geschmückten Straßen und Schaufenstern. »Überall wird es Lichter geben, und Glocken, die man nicht läuten muß.«
    Ihre Worte hatten den Sekretär beruhigt. Seine Atmung ging leichter, und er schien einzuschlafen.
    »Ihr müßt jetzt aus seiner Nähe gehen«, sagte Kivrin und führte Pater Roche zum Fenster. Sie brachte ihm die Schüssel. »Ihr müßt Euch die Hände waschen, nachdem Ihr ihn berührt habt.«
    In der Schüssel war kaum noch Wasser. »Wir müssen die Schalen und Löffel waschen, mit denen wir ihm Essen einflößen«, sagte sie, ihm beim Händewaschen zusehend, »und wir müssen die Stoffe und Verbandstreifen verbrennen. Die Pest ist in ihnen.«
    Er wischte sich die Hände am Chorhemd und ging hinunter, Eliwys zu sagen, was sie zu tun hatte. Nach einer Weile kam er mit einem Streifen Leinenstoff und einer Schüssel mit frischem Wasser zurück. Kivrin riß das Leinen in breite Streifen und band sich einen über Mund und Nase.
    Das Wasser kam gerade recht. Der Kranke erwachte aus seinem Schlummer und bat wieder um einen Trunk. Kivrin hielt ihm den Becher an die Lippen, bemüht, Pater Roche nach Möglichkeit von ihm fernzuhalten.
    Pater Roche ging, das Vespergebet zu sprechen und die Glocke zu läuten. Kivrin schloß die Tür hinter ihm und lauschte nach Geräuschen von unten, konnte jedoch nichts hören. Vielleicht schliefen sie alle, dachte sie, oder waren erkrankt. Sie dachte an Imeyne, wie sie sich mit dem Umschlag über den Kranken gebeugt hatte, an Agnes, wie sie am Fußende des Bettes gestanden hatte, an Rosemund, Gesicht an Gesicht mit dem Delirierenden.
    Wahrscheinlich war es schon zu spät; sie waren alle mit dem Kranken in Berührung gekommen. Wie lang war die Inkubationszeit? Zwei Wochen? Nein, das war die Frist zwischen der Schutzimpfung und dem Eintreten ihrer Wirksamkeit. Drei Tage? Zwei? Sie konnte sich nicht erinnern, aber sicherlich war er bei seiner Ankunft schon krank gewesen. Sie suchte sich zu besinnen, neben wem er beim Weihnachtsschmaus gesessen, mit wem er gesprochen hatte, aber sie hatte ihn nicht beobachtet;

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