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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes
Autoren: Willis Connie
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pitte, daz ir mir hilflich send!« rief sie.
    Der Implantdolmetscher sollte alles, was sie sagte, automatisch in mittelalterliche Sprache übersetzen, aber Mr. Dunworthy hatte darauf bestanden, daß sie ihre ersten Äußerungen auswendig lerne. Sie und Mr. Latimer hatten mit ihr den ganzen Nachmittag die Aussprache geübt.
    »Hilfa, ir here, denn ic bin gislagan von roubaere!« rief sie.
    Sie dachte daran, sich auf dem Weg zu werfen, doch nun, da sie einen weiteren Überblick hatte, konnte sie sehen, daß es noch später als vermutet war und der Sonnenuntergang nicht mehr fern sein konnte. Und wenn sie sehen wollte, was jenseits des Höhenrückens lag, tat sie gut daran, nicht länger zu warten. Als erstes aber mußte sie den Absetzort mit irgendeinem Zeichen markieren.
    Die Sträucher entlang der Straße zeichneten sich durch keine Besonderheiten aus. Kivrin hielt Ausschau nach einem größeren Stein, um ihn an die Stelle zu legen, wo sie noch das Fuhrwerk sehen konnte, aber es war keiner zu finden. Schließlich arbeitete sie sich durch das Dickicht zurück, blieb mit Haaren und Umhang in den Zweigen hängen, hob das messingbeschlagene kleine Kästchen auf, das die Kopie eines anderen im Ashmolean Museum war, und trug es zurück zum Straßenrand.
    Es war keine vollkommene Lösung, denn das Kästchen lud jeden Wanderer und Reisenden ein, es an sich zu nehmen, aber sie wollte nur bis zur Kuppe des Höhenzuges gehen. Wenn sie sich dort entschloß, zum nächsten Dorf zu gehen, würde sie vorher zurückkommen und eine dauerhaftere Markierung anbringen. Und nach dem Zustand des Weges zu urteilen, war nicht so bald mit Reisenden zu rechnen. Die steilen Ränder der Wagengeleise waren hartgefroren, das Laub lag unberührt, und das dünne Eis auf den Pfützen war ungebrochen. Hier war den ganzen Tag niemand gegangen oder gefahren, vielleicht die ganze Woche nicht.
    Sie verbarg das Kästchen im welken Gras und legte einen Zweig darüber, dann stieg sie die Anhöhe hinauf. Bis auf die gefrorenen Schlammlöcher in der Talsenke war die Straße ebener als Kivrin zuerst gedacht hatte; anscheinend wurde sie in der warmen Jahreszeit öfter begangen als ihre gegenwärtige Verlassenheit vermuten ließ.
    Es war ein leichter Anstieg, aber Kivrin fühlte sich schon nach wenigen Schritten müde, und der dumpfe Kopfschmerz begann wieder zu pochen. Sie hoffte, daß die Zeitverzögerungssymptome sich nicht verschlimmern würden – sie konnte bereits sehen, daß sie weit von irgendeiner Siedlung entfernt war. Oder vielleicht war das nur eine Täuschung. Sie hatte sich noch immer nicht ihres »genauen zeitlichen Standortes« vergewissert, und an diesem Waldweg und dem Wald selbst war nichts, was eindeutig auf 1320 hinwies.
    Die einzigen Zeichen von Zivilisation waren diese tiefen Spurrinnen, die aber nicht mehr besagten als daß sie in jeder beliebigen Zeit nach der Erfindung des Rades und vor dem Aufkommen gepflasterter und geteerter Straßen sein konnte, und nicht einmal das: In ländlichen Gegenden gab es noch heute Ziehwege wie diesen, und keine fünf Meilen von Oxford wurden genau solche Wege für die japanischen und amerikanischen Touristen liebevoll instandgehalten.
    Womöglich war sie nirgendwo hingekommen, und auf der anderen Seite dieses Höhenrückens würde sie die Autobahn finden, oder Mrs. Montoyas Ausgrabungsstätte, oder eine Raketenstellung. Es war ein schrecklicher Gedanke, ihren zeitlichen Standort dadurch zu bestimmen, daß sie von einem Fahrrad oder Auto angefahren würde, und sie wich unwillkürlich zum Straßenrand aus. Aber warum hatte sie diese elenden Kopfschmerzen und das Gefühl, keine zehn Schritte mehr gehen zu können, wenn sie nirgendwohin gekommen war?
    Sie erreichte den Höhenrücken und blieb stehen, außer Atem. Sie hätte sich nicht am Straßenrand zu halten brauchen. Bislang war noch kein Wagen vorbeigekommen, auch kein Pferdewagen, und sie war, wie sie gedacht hatte, weit von irgendeiner Siedlung entfernt. Hier oben standen keine Bäume, und sie konnte weite Strecken des Landes überblicken. Der Wald, in dem sie abgesetzt worden war, endete auf halber Höhe des Hügels und erstreckte sich unabsehbar weit nach Süden und Westen. Wäre sie tiefer in seinem Inneren durchgekommen, hätte sie sich ohne Kompaß wirklich hoffnungslos verlaufen.
    Wald gab es auch fern im Osten, wo er einem Flußlauf folgte, dessen silbrige Oberfläche sie da und dort blinken sah – die Themse? der Cherwell? –, und das ganze
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