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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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müßte längst hier sein.«
    Er müßte längst hier sein, dachte Kivrin. Vor einer halben Stunde hatte die Vesperglocke geläutet. Vielleicht war er im Küchenhaus und bereitete eine Suppe. Oder er war zum Dachboden hinauf, um Eliwys über Rosemunds Befinden zu unterrichten. Er war nicht krank. Gleichwohl stand sie auf und stieg auf die Steinbank unter dem Fenster und blickte auf den Hof hinaus. Es wurde kälter, und der dunkle Himmel war bedeckt. Der Hof lag menschenleer, nirgendwo war ein Lichtschein zu sehen oder ein Geräusch zu hören.
    Pater Roche öffnete die Tür, und sie sprang lächelnd von der Bank herab. »Wo seid Ihr gewesen? Ich hatte…« Sie brach ab.
    Pater Roche trug sein Meßgewand und hatte den Korb mit geweihtem Öl und Abendmahl bei sich. Ach nein, dachte sie mit einem Blick zu Rosemund. Es darf nicht sein. »Ich bin bei Ulf dem Dorfvorsteher gewesen«, sagte er, »und habe ihm die Beichte abgenommen.«
    Ihre erste Reaktion war Erleichterung, daß er nicht Rosemunds wegen gekommen war; dann wurde ihr klar, was er sagte. Die Pest war im Dorf.
    »Habt Ihr Gewißheit?« fragte sie. »Habt Ihr die Pestbeulen gesehen?«
    »Ja.«
    »Wie viele andere sind in dem Haushalt?«
    »Seine Frau und zwei Söhne«, sagte er mit müder Stimme. »Ich bat sie, eine Maske zu tragen, und schickte ihre Söhne, Weidenzweige zu schneiden, um aus der Rinde Tee zu bereiten.«
    »Gut«, sagte sie. Es war nichts Gutes daran. Nein, das war nicht richtig. Wenigstens war es Beulenpest, und nicht Lungenpest, also bestand noch immer eine Aussicht, daß die Frau und zwei Söhne nicht angesteckt würden. Aber wie viele andere Menschen hatte Ulf infiziert, und wer hatte ihn angesteckt? Ulf konnte kaum mit dem Sekretär des Bischofs zusammengekommen sein. Er mußte sich bei einem der Knechte angesteckt haben. »Sind andere im Dorf krank?«
    Er verneinte.
    Das hatte nicht viel zu bedeuten. Sie schickten nur zum Pfarrer, wenn sie sehr krank waren und um ihr Leben fürchteten. Es mochte bereits drei oder vier weitere Fälle im Dorf geben. Oder ein Dutzend.
    Sie setzte sich unter das Fenster und überlegte, was zu tun sei. Nichts, dachte sie. Es gab nichts, was sie für die Leute tun konnte. Die Pest überschwemmte ein Dorf nach dem anderen, rottete ganze Familien, ganze Ortschaften aus. Ein Drittel bis die Hälfte von Europa.
    »Nein!« schrie Rosemund und kämpfte sich von ihrem Lager hoch.
    Kivrin und Pater Roche sprangen hinzu, aber sie sank von selbst wieder zurück. Sie deckten sie zu, und Rosemund stieß die Decke wieder von sich. »Ich werde es Mutter sagen, Agnes, du böses Kind«, murmelte sie. »Laß mich los!«
    Im Laufe der Nacht wurde es kälter. Pater Roche brachte glühende Holzkohle für das Kohlenbecken herauf und Kivrin stieg wieder auf die Steinbank am Fenster, um das gewachste Leinen an den Rahmen zu binden, aber es war trotzdem eiskalt. Sie und Pater Roche kauerten am Kohlenbecken, versuchten ein wenig zu schlafen und erwachten zitternd vor Kälte.
    Der Sekretär zitterte nicht, aber er klagte lallend wie ein Betrunkener über die Kälte. Seine Hände und Füße waren kalt und ohne Gefühl.
    »Sie müssen ein Feuer haben«, sagte Pater Roche. »Wir müssen sie in den Herdraum hinunterbringen.«
    Er verstand nicht. Ihre einzige Hoffnung lag darin, daß die Patienten isoliert und eine Ausbreitung der Infektion nicht zugelassen wurde. Aber sie hatte sich bereits ausgebreitet, und wie sollte ein Mann wie Ulf in seiner ärmlichen Hütte, die aus nur einem Raum bestand, isoliert werden? Und was nützte ein Feuer? Sie hatte in einer ihrer armen Hütten am Feuer gesessen, während der kalte Wind durch alle Ritzen und Löcher eingedrungen war. Das kleine Feuer hätte keine Katze wärmen können.
    Auch die Katzen starben, dachte sie, und ihr Blick ging zu Rosemund. Der Schüttelfrost quälte ihren armen, dünnen Körper, und ihr Gesicht schien bereits abgemagert, wie vom Fieber verzehrt.
    »Das Leben verläßt sie«, sagte Pater Roche.
    »Ich weiß«, sagte sie und machte sich daran, das Bettzeug aufzuheben. »Sagt Maisry, daß sie am Boden des Herdraumes Stroh ausbreiten soll.«
    Der Sekretär war zu Kivrins Überraschung imstande, von ihr und Roche gestützt, die Stufen hinunterzugehen, aber Rosemund mußte getragen werden. Eliwys und Maisry breiteten Stroh auf der anderen Seite des Herdfeuers aus. Agnes schlief noch, aber Imeyne war auch heruntergekommen und kniete, wo sie am Abend zuvor gebetet hatte, die Hände steif

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