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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
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der Stimme, und das Gesicht unter dem Gewirr der Leitungen blieb ausdruckslos wie von einer Wachspuppe. Er sah geistesabwesend aus, als sänne er einer Gedichtzeile von Chaucer nach.
    »Mr. Latimer«, sagte Dunworthy etwas lauter und beobachtete die Kontrollanzeigen. Auch sie zeigten keine Veränderung.
    Er war ohne Bewußtsein. Dunworthy stützte sich auf die Stuhllehne und sagte: »Sie wissen nicht, was geschehen ist, nicht wahr? Mary ist tot, Kivrin ist im Jahr 1348.« Er beobachtete die Kontrollanzeigen. »Und Sie wissen nichts davon. Gilchrist schaltete das Netz ab.«
    Nichts veränderte sich auf den Bildschirmen der Kontrollanzeigen. Die Linien fuhren fort, mit minimalen Ausschlägen gleichmäßig über die Bildschirme zu wandern.
    »Sie und Gilchrist schickten sie in den Schwarzen Tod«, rief er, »und Sie liegen hier und…« Er brach ab und sank auf den Stuhl. Er war ungerecht. Latimer traf kein Verschulden. Er war für die Fixierung nicht verantwortlich gewesen.
    Colin hatte ihn von Marys Tod unterrichten wollen, aber er war zu krank gewesen, hatte wie Latimer dagelegen, unbeteiligt, blind gegen alles.
    Der Junge wird seiner Mutter nie vergeben, daß sie nicht zum Begräbnis gekommen ist, dachte er. Was hatte Finch gesagt, daß sie es zu schwierig gefunden hatte, so kurzfristig Vorbereitungen zu treffen? Er sah Colin allein beim Begräbnis, vor sich die Lilien und Chrysanthemen, die seine Mutter geschickt hatte, in der Gewalt von Mrs. Gaddson und den Schellenläutern. Er hatte gesagt, seine Mutter habe nicht kommen können, aber es war klar, daß er es nicht geglaubt hatte. Selbstverständlich hätte sie kommen können, wenn sie es wirklich gewollt hätte.
    Er wird immer das Gefühl haben, ich hätte ihn im Stich gelassen, dachte er. Und Kivrin wird mir nie vergeben. Sie ist älter als Colin und wird sich alle möglichen mildernden Umstände ausdenken, vielleicht sogar den wahren. Aber in ihrem Herzen, ausgeliefert Gott weiß was für Halsabschneidern und Dieben und Pestilenzen, wird sie nicht glauben, daß ich nicht kommen konnte, sie zu holen. Wenn ich es wirklich gewollt hätte.
    Dunworthy stand mühevoll auf, indem er sich auf den Sitz und die Stuhllehne stützte, und schlurfte, ohne Latimer oder die Kontrollanzeigen noch einmal anzusehen, hinaus auf den Korridor. Draußen stand ein leerer Bahrenwagen an der Wand, an den er sich einen Moment lang lehnte.
    Mrs. Gaddson kam aus seinem Zimmer. »Da sind Sie ja, Mr. Dunworthy«, sagte sie. »Ich wollte gerade kommen und Ihnen aus der Bibel lesen.« Sie schlug sie auf. »Dürfen Sie schon auf sein?«
    »Ja.«
    »Nun, ich muß sagen, es freut mich, daß Sie sich endlich erholen. Seit Sie krank sind, hat einfach nichts mehr richtig geklappt.«
    »So?«
    »Wegen Mr. Finch müssen Sie wirklich etwas unternehmen, wissen Sie. Er läßt die Amerikanerinnen zu allen Tages- und Nachtstunden mit ihren Glocken üben, und als ich mich bei ihm darüber beschwerte, war er sehr unhöflich. Und er hat meinem Willy Dienst als Krankenpfleger zugewiesen. Pflegedienst! Wo Willy immer so empfänglich für Krankheiten gewesen ist. Für mich kommt es einem Wunder gleich, daß er noch nicht an der Influenza erkrankt ist.«
    Es ist ein Wunder, dachte Dunworthy, in Anbetracht der Zahl wahrscheinlich ansteckender junger Frauen, mit denen er während der Epidemie Kontakt gehabt hatte. Welche Chancen, daß er unversehrt davonkommen würde, hätte ihm die Wahrscheinlichkeitsrechnung zugebilligt?
    »Und was die Verpflichtung zum Pflegedienst angeht«, sagte Mr. Gaddson, »so erlaubte ich es natürlich nicht. ›Ich lasse nicht zu, daß Sie Willys Gesundheit in dieser unverantwortlichen Weise gefährden lassen‹, sagte ich zu Mr. Finch. ›Ich kann nicht untätig beiseite stehen, wenn mein Kind in Lebensgefahr ist‹, sagte ich. Aber stellen Sie sich vor, was Mr. Finch erwiderte! Er sagte, Willy sei volljährig, und er habe unter den Notstandsbedingungen das Recht, einen Studenten des Colleges auch gegen meinen Willen zum Pflegedienst zu verpflichten!«
    »Ich muß Mrs. Piantini besuchen«, sagte Dunworthy.
    »Sie sollten wieder zu Bett gehen. Sie sehen schrecklich aus.« Sie schüttelte die Bibel vor seiner Nase. »Es ist skandalös, wie dieses Krankenhaus geleitet wird. Den Patienten zu erlauben, daß sie sich herumtreiben! Sie werden noch einen Rückfall bekommen und sterben, und niemand als Sie selbst wird dafür verantwortlich sein.«
    »Ganz recht«, sagte Dunworthy, stieß die Tür

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