Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willis Connie
Vom Netzwerk:
unterschätzte man, in welchem Maß solche Nebenwirkungen Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit eines Historikers beeinträchtigen konnten. Der Weg zurück in die Talsenke hatte sie noch mehr außer Atem gebracht als vorher der Aufstieg, und ihr war so kalt, als hätte sie die ganze Zeit ohne Bewegung an einem Fleck verbracht.
    Ihr Umhang und ihr Haar verfingen sich im Dickicht, und ein Schwarzdorn verhalf ihr zu einem langen Kratzer am Arm, der sofort auch zu schmerzen begann. Einmal strauchelte sie und wäre fast vornüber gefallen, und die Wirkung auf ihren Kopfschmerz war so, daß er vor Schreck wegblieb und dann mit verdoppelter Gewalt zurückkehrte.
    Auf der kleinen Lichtung war es fast dunkel, aber die Umrisse zeigten sich noch klar, während die Farben sich zu Schwarz, Schwarzgrün, Schwarzgrau und Schwarzbraun vertieften. Die Vögel waren schon zur Ruhe gekommen. Nur vereinzelt war noch schläfriges Gezwitscher zu hören.
    Kivrin hob die verstreuten Kisten und Körbe auf und warf sie auf die schief hängende Ladefläche des Fuhrwerks, dann ergriff sie mit beiden Händen die Deichsel und zog es unter Aufbietung aller Kräfte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Das Fuhrwerk knarrte und kratzte ein paar Zentimeter, glitt etwas leichter durch Moos und Laub, und blieb stecken. Kivrin stemmte sich in den Boden und zog wieder. Es schleifte einen weiteren halben Meter und neigte sich noch mehr. Eine der Kisten fiel herunter.
    Kivrin hob sie wieder an Bord, ging um das Fuhrwerk herum und versuchte zu sehen, wo es festsaß. Das rechte Hinterrad stand an einer Baumwurzel, ließ sich aber darüber wegstoßen, wenn sie in die Speichen griff. Schlechter sah es mit dem anderen Hinterrad aus – die Mediävisten hatten diese Seite mit einer Axt bearbeitet, um den Eindruck zu erwecken, das Fuhrwerk sei beim Umstürzen zerbrochen, und sie hatten ganze Arbeit geleistet. Vom Radkranz und den Speichen war nur die Hälfte übrig und hatte sich in den Waldboden gebohrt, und auch das Wagenbrett war zersplittert. Sie bedauerte, daß Gilchrist ihr keine Handschuhe bewilligt hatte.
    Sie ging wieder zur anderen Seite, griff in die Speichen und stieß. Obwohl es ein leicht gebautes Fuhrwerk war, brachte sie das Rad nicht über die Wurzel. Sie raffte Röcke und Umhang, kniete neben dem Rad nieder und versuchte das Wagenbrett mit der Schulter zu heben.
    Der Fußabdruck war vor dem Rad, an einer weichen, moosigen Stelle, die der Wind vom Laub freigehalten hatte. Das Laub war zu beiden Seiten an die Eichenwurzeln geweht und sah im grauen Dämmerlicht unberührt aus, aber der Abdruck in der moosbedeckten Erde war vollkommen klar.
    Es kann kein Fußabdruck sein, dachte Kivrin. Der Boden ist gefroren. Sie streckte die Hand aus und befühlte die Stelle mit den Fingerspitzen. Vielleicht war es eine optische Täuschung, hervorgerufen durch das trügerische Dämmerlicht und die verfließenden Schatten. Die gefrorenen Wagengeleise draußen auf der Straße hätten keinen Fußabdruck aufgenommen. Aber hier war die Erde weich und gab unter ihrer Hand nach, und der Abdruck war tief genug, um sich ertasten zu lassen.
    Der Abdruck stammte von einem absatzlosen Schuh mit weicher Sohle, und der Fuß, der ihn hinterlassen hatte, war groß, der Fuß eines Mannes. Wenn sie berücksichtigte, daß die Männer im Mittelalter insgesamt kleiner gewesen waren, war dies geradezu ein Riesenfuß.
    Vielleicht ist es ein alter Fußabdruck, dachte sie in plötzlicher Panik. Vielleicht ist es der Fußabdruck eines Holzfällers oder eines Bauern, der nach einem verlaufenen Schaf gesucht hatte. Vielleicht war dieser Wald königliches Jagdrevier, und eine Jagdgesellschaft mit Treibern war hier durchgekommen. Aber der Fußabdruck schien nicht von jemandem zu stammen, der flüchtig vorbeigelaufen war; es war der Fußabdruck von jemandem, der längere Zeit unbeweglich hier gestanden und sie beobachtet hatte. Ich hörte ihn, dachte sie, und die Panik schnürte ihr plötzlich die Kehle zu. Ich hörte ihn hier atmen.
    Sie war noch auf den Knien und hielt sich mit einer Hand am Rad fest. Wenn der Mann, wer immer es war, und es mußte ein Mann sein, ein Riese, noch hier auf dieser Lichtung war und sie beobachtete, mußte er wissen, daß sie den Fußabdruck gefunden hatte. Sie stand auf. »Heda!« rief sie und erschreckte die Vögel, die sich erst nach einigem Geflatter und Gekrächze beruhigten. »Ist ieman hie?«
    Sie wartete, lauschte, und ihr schien, daß sie in der Stille

Weitere Kostenlose Bücher