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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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dabei, daß Juan Francisco die zwei kleinen Koffer zu ihrem schwarzen Buick trug, der an der Straße parkte. Man merkte, daß die beiden Jungen sich nicht wohlfühlten. Weil sie ihr Unbehagen aber nicht der Begegnung mit den Eltern zuschreiben wollten, strichen sie sich mit dem Zeigefinger über die steifen Kragen und die Krawattenknoten, die Dona Leticia vorgeschrieben hatte: dazu paspelierte Sakkos mit drei Knöpfen, Knickerbocker, lange, querkarierte Socken und eckige, kaffeebraune Schnürschuhe.
    Auf der Fahrt vom Bahnhof zur Avenida Sonora sagte keiner ein Wort. Danton hatte sich in die Comics vertieft. Santiago sah unerschütterlich die majestätische Stadt an sich vorbeiziehen, das vor kurzem fertiggestellte Monument der Revolution, das die Leute mit einer riesigen Tankstelle verglichen, den Paseo de la Reforma, die Reihe der »Glorietas«, der mit Bäumen bestandenen kleinen Plätze, die, so schien es, im Namen der Denkmäler frische Luft schöpften: vom »Caballito«, der Reiterstatue Karls IV. an der Kreuzung mit der Avenida Juârez, der Galle de Bucareli und del Ejido, über den Kolumbus und seinen unerschrockenen Kreis von Mönchen und Schreibern bis zum stolzen Cuauhtémoc mit der hochgereckten Lanze auf der Kreuzung mit der Avenida Insurgentes, an jener großen, baumgesäumten Allee mit Wegen aus festgestampfter Erde für Fußgänger und morgendliche Reiter, die sich zu dieser Zeit schon gemächlich auf ihr entlangbewegten, mit den prächtigen Privatpalästen links und rechts, deren Fassaden und Giebel dem Pariser Vorbild folgten. Zum Paseo führten die eleganten Straßen der Colonia Juârez mit ihren zweistöckigen Steinhäusern, den Garagen im Erdgeschoß und den Empfangssalons, in die man durch weißgerahmte Balkontüren sehen konnte; sie standen offen, damit die Dienstmädchen, die kompliziert geflochtene Zöpfe und eine blaue Einheitstracht trugen, die Innenräume lüften und die Teppiche ausklopfen konnten.
    Santiago las die aufeinanderfolgenden Straßennamen: Niza, Génova, Amberes, Praga, bis sie zum Bosque de Chapultepec kamen – nicht einmal dort blickte Danton von den Bildergeschichten auf – und zu ihrem Haus in der Avenida Sonora weiterfuhren. Wie ein Traumbild prägte sich Santiago den Eingang zu dem großen Park aus Eukalyptusbäumen und Kiefern ein, der von liegenden Löwenfiguren flankiert und dem sagenumwobenen Schloß gekrönt wurde, in dem sich einst das Bad Moctezumas befunden hatte und von dem sich 1847 die heldenhaften Kadetten der Militärakademie hinabstürzten, weil sie sich weigerten, die Festung den Gringos zu übergeben. Im Schloß hatten alle Staatsoberhäupter gewohnt, von Maximilian von Habsburg bis zu Abelardo Rodriguez, dem von den Spielkasinos, der neue Präsident Lâzaro Cârdenas allerdings sollte dann den Standpunkt vertreten, daß derartiger Prunk nicht zu ihm paßte, und als guter Republikaner siedelte er in die bescheidene Villa Los Pinos unterhalb des Schlosses über.
    Bei einem zweiten Frühstück hörten die Jungen mit unerschütterlicher Miene zu, wie ihr neuer Tagesablauf aussehen sollte, wenn auch Dantöns funkelnder Blick wortlos ankündigte, daß er auf jede Pflicht mit einem unerwarteten Schelmenstreich antworten würde. Santiagos Blick zeigte, daß er sich weigerte, Erstaunen oder Verwunderung einzugestehen. Laura konnte zutreffend aus ihm herauslesen, daß er das alles nicht wollte und sich statt dessen nach Xalapa zurücksehnte, nach Großmutter Leticia und Tante Maria de la O: Sollte der junge Santiago sich nur nach Dingen sehnen, die hinter ihm lagen? Laura ertappte sich bei diesem Gedanken, während sie das ernste Gesicht mit den feingeschnittenen Zügen und das braune Haar ihres älteren Sohns betrachtete, der seinem toten Onkel so sehr ähnelte und sich so sehr von Danton unterschied, von dessen brünettem Teint, den dunklen, buschigen Augenbrauen und dem schwarzen, mit Brillantine geglätteten Haar. Nur daß der hellhaarige Santiago schwarze Augen und der dunkelhaarige Danton blaßgrüne, ja fast gelbe Augen hatte wie die Hornhaut einer Katze.
    Laura seufzte, man sehnte sich immer nach etwas in der Vergangenheit, nie nach der Zukunft. Doch genau das erglühte und erlosch jetzt in Santiagos Blick wie eine der neuen Lichtreklamen an der Avenida Juârez: Ich verlange nach dem, was kommen wird…
    Sie sollten ins Colegio Gordon an der Avenida Mazatlân gehen, nicht weit von zu Hause. Juan Francisco würde sie morgens im Buick hinbringen, und um

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