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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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– »Sie muß gegen alle politische Vernunft gerettet werden«, sagte Domingo Vidal. – »Sie muß im Namen der Ehre gerettet werden«, sagte Jorge  Maura.
    »Meine zwei Freunde sahen mich an und verstanden. Ich brauchte ihnen nichts zu erklären. Es genügte nicht, uns auf Liebe oder Gerechtigkeit zu berufen. Die Ehre gab uns recht. Ehre durch Gerechtigkeit? Dieses Dilemma war in Domingo Vidais Gesicht zu lesen. Verrat oder Schönheit? Das sagten mir die verliebten Augen Basilio Baltazars. Ich blickte die drei an, sie hatten auf alles verzichtet, ihnen blieb nur die nackte Haut der Wahrheit am Abend jenes verhängnisvollen Tages vor den mittelalterlichen Mauern am lateinischen Tor inmitten der Berge, deren Lichter nacheinander erloschen, die drei, Pilar, Basilio, Domingo, ich sah sie wie eine symbolische Gruppe, Laura, und den Grund würde niemand außer mir damals und dir jetzt verstehen: Die Notwendigkeit der Schönheit geht über die Notwendigkeit der Gerechtigkeit hinaus. Das miteinander verschlungene Trio der Frau, des Geliebten und des Gegners löste sich nicht in der Gerechtigkeit und der Liebe auf, es war ein Akt notwendiger Schönheit, der auf Ehre beruhte.«
    Wie lange kann eine Skulptur überdauern, wenn sie nicht aus Statuen, sondern aus lebenden, vom Tod bedrohten Menschen besteht?
    Die plastische Vollkommenheit – Ehre und Schönheit, die über Verrat und Gerechtigkeit triumphierten – löste sich auf, als Jorge  der Frau zuflüsterte: »Flieh mit uns in die Berge, rette dich, denn sonst sterben wir vier hier zusammen«, und sie mit zusammengebissenen Zähnen antwortete: »Ich bin nur ein Mensch, ich habe nichts dazugelernt«, obwohl Basilio sie anflehte: »Man kann nichts ohne Mitleid gewinnen, komm mit uns, flieh, noch ist Zeit«, und sie: »Ich bin wie eine Hündin des Todes, ich rieche ihn und verfolge ihn, bis sie mich umbringen, ich werde euch den Gefallen nicht tun, ich kann den Tod riechen, alle Gräber in diesem Land stehen offen, uns bleibt kein anderes Zuhause mehr als das Grab.«
    »Rette dich wenigstens für deinen Vater und deine Mutter.«
    Pilar starrte die drei mit glühenden, verstörten Augen an und brach in wahnsinniges Gelächter aus.
    »Ihr begreift gar nichts. Glaubt ihr, ich sterbe nur, weil ich der nationalen Bewegung treu bin?«
    Das Lachen stand für Sekunden zwischen ihnen.
    »Ich sterbe, damit mein Vater und meine Mutter sich für immer gegenseitig hassen. Damit sie einander nie verzeihen.«
    (»Ich muß dir von Pilar Méndez erzählen…«)
    »Ich glaube, du gehörst zu den Menschen, die nur dann sich selbst treu sind, wenn sie ihren Freunden treu sind«, sagte Laura und lehnte den Kopf an Jorges Schulter.
    »Nein«, er seufzte erschöpft, »ich bin nur jemand, der auf sich selbst wütend ist, weil ich es nicht fertigbringe, dir die Wahrheit zu erklären und dabei die Lüge zu vermeiden.«
    »Vielleicht bist du stark, weil du zweifelst, mein Spanier. Ich glaube, das habe ich heute nacht herausgefunden.«
    Sie liefen über die Aquiles Serdân und gingen zwischen den Marmorsäulen am Eingang des Palastes der Schönen Künste hindurch.
    »Ich habe es vorhin im Café gesagt, Liebste, wir alle sind verurteilt. Ich gestehe dir, daß ich sämtliche Systeme hasse, meines und die aller anderen.«
    VIDAL: »Begreifst du es endlich? Der Sieg läßt sich nicht ohne Ordnung erringen. Ob wir jetzt gewinnen oder verlieren, ob wir heute siegen oder morgen verlieren, wir brauchen Ordnung und Einigkeit, Hierarchien und Disziplin. Sonst gewinnen sie gegen uns: weil sie Ordnung, Einigkeit, Befehlsgewalt und Disziplin haben.«
    BALTAZAR: »Was ist dann der Unterschied zwischen der unerbittlichen Disziplin Hitlers und der Stalins?«
    VIDAL: »Die Ziele, Basilio. Hitler will eine Welt von Sklaven, Stalin eine Welt von freien Menschen. Wenn auch die Mittel gleichermaßen gewalttätig sind, ihre Zwecke unterscheiden sich grundsätzlich.«
    »Vidal hat recht.« Laura lachte. »Du stehst den Anarchisten näher als den Kommunisten.«
    Jorge  blieb vor einem Plakat am Palast der Schönen Künste stehen.
    »Niemand hat heute nachmittag eine Rolle gespielt, Laura. Vidal ist wirklich Kommunist, Basilio wirklich Anarchist. Ich hatte dir nicht die Wahrheit gesagt. Ich habe geglaubt, daß wir beide, du und ich, so eine gewisse Distanz gegenüber dem Gespräch wahren könnten.«
    Einige Zeit betrachteten sie still das Plakat, gelbes Papier mit schwarzen Buchstaben, das unordentlich in einem Holzrahmen

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