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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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mich eingesetzt hättest, damit ich an Bord der Prinz Eugen gehen und in die Freiheit, nach Amerika, fahren könne. Ich hatte mir geschworen, in Deutschland zu bleiben und in Deutschland als Zeugin meines Glaubens an Christus und Moses zu sterben. Doch ich gab nach, ferner Liebster, und ich wußte, warum, nicht aus Angst vor ihnen, nicht aus Angst davor, daß sie mich zu einem von jenen Orten brachten, deren Namen wir alle kannten –Dachau, Oranienburg, Buchenwald –, sondern aus Scham, weil meine eigene Kirche und mein eigener Vater, der Papst, nicht ihre Stimme erhoben, um für uns einzutreten, für alle Juden, aber auch für die katholischen Juden wie mich. Rom ließ mich verwaist zurück, Pius XII. hat nie gesprochen, um das Menschengeschlecht zu verteidigen, nicht nur die Juden, Georg. Der Heilige Vater hat dem Menschengeschlecht nie die Hand gereicht. Du hast sie mir gereicht, Mexiko hat sie mir gereicht. Es gab keine größere Chance als die Fahrt mit der Prinz Eugen, die uns nach Amerika bringen würde. Der mexikanische Präsident Lâzaro Cârdenas wollte mit Franklin Roosevelt sprechen, damit man uns in Florida landen ließ.
    Während der neuntägigen Überfahrt freundete ich mich mit den übrigen jüdischen Flüchtlingen an, ein paar wunderten sich über meinen katholischen Glauben, andere äußerten Verständnis, aber alle dachten, es sei ein fehlgeschlagenes Manöver gewesen, mit dem ich versucht hätte, dem Konzentrationslager zu entgehen. Es gibt keine einheitlichen Gemeinschaften, doch Husserl hatte recht, als er uns fragte: ›Können wir nicht alle zusammen in eine Welt zurückkehren, wo man das Leben neu begründen kann, und dort uns selbst als unseresgleichen wiederfinden?‹
    Ich wollte die heilige Kommunion empfangen, doch der lutherische Pastor an Bord weigerte sich, meine Bitte zu erfüllen. Ich erinnerte ihn daran, daß es sein rechtmäßiges Amt auf einem Schiff sei, nicht nur die eigene Konfession zu sehen und gleichermaßen jeden Glauben zu achten. Er wagte es, mir zu sagen: ›Schwester, das jetzt sind keine rechtmäßigen Zeiten.‹
    Ich bin eine Provokateurin, Georg, das gebe ich zu. Doch wirf mir nicht Hochmut vor, jene griechische Hybris, die man uns in Freiburg erklärt hat. Ich bin eine demütige Provokateurin. Alle Tage während des gemeinschaftlichen Frühstücks im Speisesaal nehme ich als erstes ein Stück Brot mit einer Hand, mache das Kreuzeszeichen mit der anderen und sage mit gleichmütiger Stimme: ›Dies ist mein Leib‹, bevor ich das Stückchen zum Munde führe. Ich empöre, reize und verärgere die anderen. Der Kapitän hat mir gesagt: ›Sie gefährden Ihre eigenen Rassen-brüder.‹ Ich habe ihm ins Gesicht gelacht. ›Es ist das erste Mal, daß man uns aus rassischen Gründen verfolgt, können Sie sich das vorstellen, Herr Kapitän? Immer hat man uns aus religiösen Gründen verfolgte Das war eine Lüge. Isabella und Ferdinand haben uns vertrieben, um ihre ›Reinheit des Bluts‹ zu schützen. Aber der Kapitän war nicht um eine Antwort verlegen. ›Frau Mendes, es gibt Agenten der deutschen Regierung an Bord. Sie überwachen uns alle. Sie sind entschlossen, diese Fahrt scheitern zu lassen, wenn sie den kleinsten Vorwand finden. Wenn sie die Fahrt erlaubt haben, so deshalb, weil sie Roosevelt ein Zugeständnis machen wollen, als Gegenleistung dafür, daß die Vereinigten Staaten an ihren beschränkten Aufnahmequoten für deutsche Juden festhalten. Beide Seiten stellen sich auf die Probe. Das müssen Sie verstehen. So hat der Führer immer gehandelt. Wir haben eine kleine Chance. Beherrschen Sie sich. Machen Sie diese Chance nicht zunichte, sich selbst und Ihre Leute zu retten. Beherrschen Sie sich.‹
    Georg, mein Liebster, alles war umsonst. Die amerikanischen Behörden haben uns in Miami nicht erlaubt, an Land zu gehen. Sie verlangten vom Kapitän, nach Havanna zu fahren und dort die amerikanische Genehmigung abzuwarten. Die wird nicht kommen. Roosevelt steht unter dem Druck der öffentlichen Meinung, die nicht will, daß noch mehr Ausländer in die Vereinigten Staaten einreisen. Die Quoten, heißt es, seien ausgeschöpft. Niemand setzt sich für uns ein. Niemand. Man hat mir erzählt, daß der frühere Papst, Pius XL, eine Enzyklika über die ›von Rassisten und Antisemiten bedrohte Einheit des Menschen-geschlechts‹ fertiggestellt hatte. Er starb, bevor er sie veröffentlichen konnte. Meine Kirche verteidigt uns nicht. Die Demokratie verteidigt uns nicht.

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