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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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Revolutionär nicht von der Revolution sprechen darf, weil in der gegenwärtigen Welt nichts diesen Namen verdient. Ihr werdet die wahren Revolutionäre daran erkennen, daß sie nie von der Revolution sprechen. Was sagst du, Jorge?«
    MAURA: »Daß ich zwischen zwei Wahrheiten stehe. Die eine ist, daß die Welt sich retten wird. Die andere, daß sie verurteilt ist. Beides trifft in doppeltem Sinne zu. Die korrupte Gesellschaft ist verurteilt, aber die revolutionäre Gesellschaft ist es auch.«
    Ihre Intuition sagte Laura in jener Nacht, daß dies die Ter-tulia des Abschieds war. Daß es Spannung, Trauer, Resignation, Scham und, alles umfassend, Liebe in den Blicken der drei gegeben hatte, die einer unabwendbaren Trennung Vorgriffen, und gerade deshalb wogen die Argumente so schwer wie ein Grabstein. Es war ein Abschied: Es waren für immer verlorene Visionen, die Lügen des Himmels, die auf der Erde »Politik« heißen. Dazwischen gestalten wir eine schmerzliche Wahrheit, »die Geschichte«. Und trotzdem, was gab es in dem glänzenden, traurigen Blick Basilio Baltazars anderes als eine Lagerstatt mit den Spuren seiner Liebe, was gab es in Domingo Vidais finsterem Blick anderes als eine Folge immer verlorener Visionen? Was gab es in dem melancholischen, sinnlichen Blick ihres eigenen Jorge , Jorge  Mauras…? Was gab es, wenn man weiter zurückging, im Blick des Bürgermeisters von Santa Fe de Palencia anderes als das öffentliche Geheimnis, daß er seine Tochter erschießen ließ, um zu beweisen, daß er ein Vaterland, Spanien, und eine Ideologie, den Kommunismus, über alles liebte? Und gab es in Clemencias Blick vor dem Spiegel nur das widerwärtige Bild einer bigotten Alten, die sich freute, die Schönheit und Jugend ihrer möglichen Rivalin, der eigenen Tochter, zu zerstören?
    Basilio umarmte Jorge  und sagte: »Wir haben soviel geweint, daß wir die Zukunft erkennen, wenn sie kommt.«
    »Das Leben geht weiter.« Zum Abschied umarmte Vidal die beiden Kameraden gleichzeitig.
    »Und das Glück ist wetterwendisch, Bruder«, sagte Maura.
    »Packen wir die Gelegenheit beim Schöpf«, lachte Vidal. »Spotten wir nicht über das Glück, und verzichten wir auf unzeitgemäße Vergnügen. Wir sehen uns in Mexiko wieder.«
    Aber sie waren ja in Mexiko. Sie verabredeten sich zum Abschied am selben Ort, an dem sie sich längst befanden. Sprachen die drei von der Niederlage? Nein, dachte Laura Dïaz, sie sprachen von dem, was nun begann: dem Exil, und das Exil hat kein Vaterland, es heißt nicht Mexiko, Argentinien oder England. Das Exil ist eine andere Nation.
    Sie steckten ihr einen Knebel in den Mund und ordneten an, alle Fenster rund um den Platz von Santa Fe zu schließen. Trotzdem, als könnte nichts den Skandal ihres Todes ersticken, verfolgten die zum Tode Verurteilte vom römischen Tor bis zur Stierkampfarena laute Schreie, barbarische Schreie, die vielleicht nur sie vernahm, wenn nicht alle Nachbarn gelogen haben, denn alle schwören, an jenem Morgen hätten sie Schreie oder Lieder gehört, wie vom Grund der sterbenden Nacht.
    Die geschlossenen Fenster. Das geknebelte Opfer. Nur Pilar Méndez' Augen schrien, denn ihr Mund war verschlossen, als hätte die Erschießung schon stattgefunden. »Hindere sie am Reden«, bat die Mutter Clemencia den gerechtigkeitsbesessenen Bürgermeister, ihren Mann, »mein einziger Wunsch ist, daß ich sie nicht schreien höre, ich will nicht wissen, daß sie geschrien hat.«
    »Es wird eine saubere Hinrichtung. Quäle dich nicht, Frau.«
    Ich kann den Tod riechen, sagte Pilar Méndez zu sich selbst, sie hatte ihren Umhang aus Pelzen abgelegt und trug nur das Chorhemd einer Karmeliterin, das ihre Brustspitzen nicht verbarg, sie war barfuß und spürte es mit den Füßen und ihrem Geruchssinn: Ich kann den Tod riechen, alle Gräber Spaniens stehen offen. Was bleibt von Spanien außer dem Blut, das die Wölfe trinken werden? Wir Spanier sind die Hirtenhunde des Todes, wir riechen und verfolgen ihn, bis man uns tötet.
    Vielleicht dachte sie das. Oder vielleicht dachten es die drei Freunde, alle drei Soldaten der Republik, sie blieben vor den Stadttoren, lauschten mit aller Kraft, achteten nur auf das Krachen der Gewehre, das den Tod der Frau verkünden würde, während sie bereit gewesen waren, für ihr Leben mehr als nur das eigene zu geben, ihre Ehre als republikanische Soldaten, aber auch ihre Ehre als Männer, denn das Eintreten für diese Frau, die von einem der drei geliebt wurde,

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