Die Jahre mit Laura Diaz
Jungen (Santiago war achtzehn, Danton ein Jahr jünger): »Ich liebe sie.«
Er akzeptiert mich, sagte sie sich voller Grausamkeit und ohne Großmut, er akzeptiert mich, obwohl ich ihm nie die Wahrheit gesagt habe, er akzeptiert mich, weil er weiß, daß seine eigene Grausamkeit und Borniertheit mir diese Freiheit gegeben hat. Ich hätte einen Bäcker heiraten sollen, der sich nicht um die Brote kümmert, die er backt. Dann erkannte sie: Wenn Juan Francisco vor den Kindern erklärte, daß er sie liebte, so war das ein Beweis für sein Scheitern, gleichzeitig konnte es aber auch einer für seine Seelengröße sein. Laura Dïaz dachte, daß alle, Eltern und Kinder, durch eine Liebe wiedergeboren werden konnten, die sie mit einer solchen Stärke erlebt hatte, daß ihr noch mehr als genug davon übrigblieb.
Sie wachte neben ihrem Mann auf – sie schliefen wieder in einem Bett – und hörte jeden Morgen seine ersten Worte: »Etwas ist nicht in Ordnung.«
Diese Worte retteten ihn und versöhnten sie. Um sie durch seine wiederentdeckte und ihm vielleicht wesenseigene Seelengröße zufriedenzustellen, war es Juan Francisco, der Danton und Santiago von ihrer Mutter erzählte und daran erinnerte, wann sie sich kennengelernt hatten, wie sie war, so ruhelos, so unabhängig, sie sollten sich bemühen, sie zu verstehen. Plötzlich fühlte Laura sich beleidigt: Sie hätte ihrem Mann für seine Vermittlung dankbar sein müssen, doch in Wirklichkeit beleidigte er sie, auch wenn die Beleidigung nicht sehr lange nachwirkte; während einer jener abendlichen Zeremonien in der Dämmerung, den Blick über das Tal von Mexiko auf das Schloß von Chapultepec und die Vulkane dahinter gerichtet, während einer jener Zeremonien, die fast schon besagten, trotz alledem sind wir zusammen, erklärte sie mit erhobener Stimme: »Ich hatte mich in einen Mann verliebt. Deshalb bin ich nicht nach Hause gekommen. Ich war bei diesem Mann. Ich hätte mein Leben für ihn hingegeben. Seinetwegen hätte ich euch im Stich gelassen. Aber er hat mich verlassen. Darum bin ich wieder mit euch zusammen. Ich hätte allein bleiben können, doch ich hatte Angst. Ich bin zurückgekehrt, um Schutz zu suchen. Ich fühlte mich wehrlos. Ich bitte euch nicht um Vergebung. Ich bitte euch, Kinder, daß ihr in eurem Alter allmählich versteht, daß das Leben nicht leicht ist, daß wir alle Fehler machen und die verletzen, die wir lieben, weil wir uns selbst lieber als alles andere haben, sogar als den Menschen, der uns einmal fasziniert hat. Wenn sich die Gelegenheit bietet, werdet ihr beide, Danton, Santiago, eher euren eigenen Weg als den gehen, den sich euer Vater oder ich für euch vorgestellt haben. Denkt an mich, wenn ihr es tut. Verzeiht mir.«
Es folgten keine Worte und keine Gefühlsäußerungen. Nur Maria de la O ließ an ihren vom Star getrübten Augen alte Erinnerungen vorbeiziehen, die eines Mädchens in einem Veracruza-ner Bordell und eines Herrn, der sie aus ihrer verzweifelten Lage rettete und in diese Familie brachte, sich über alle Rassen- und Klassenvorurteile und eine Moral hinwegsetzte, die unmoralisch war: Im Namen der Gebote des Anstands richtet sie das Leben zugrunde, anstatt neues Leben zu schenken.
Laura und Juan Francisco forderten sich gegenseitig zum Nachgeben auf, und die Jungen machten damit Schluß, umher-zurennen, zu balgen und sich auf dem Boden zu wälzen – alles, um ihrer Mutter nicht ins Gesicht blicken zu müssen. Santiago schlief und lebte mit offener Schlafzimmertür, was seine Mutter als einen Akt der Freiheit und Aufrichtigkeit deutete, allerdings vielleicht auch als eine schuldhafte Rebellion: Ich habe nichts zu verbergen. Danton lachte ihn aus: »Welchen Schwachsinn hast du als nächstes vor, Brüderchen? Willst du dir etwa mitten auf der Straße einen runterholen?« – »Nein«, antwortete der ältere Bruder, »ich will damit nur sagen, daß wir allein zurechtkommen.« – »Wer, du und ich?« – »Das würde mir gefallen, Danton.« – »Na, ich komme auf jeden Fall allein zurecht, aber hinter verschlossenen Türen, sicher ist sicher. Sieh dir die ›Vea‹ an, meine Zeitschriftensammlung, wann immer du willst, lauter nackte, geile Weiber…«
So wie sich Laura nach ihrer Rückkehr im Spiegel betrachtete und so gut wie davon überzeugt war, daß sich ihr Gesicht nicht veränderte, wie viele Schicksalsschläge sie auch heimsuchen mochten, ebenso entdeckte sie, daß auch Santiago sein Gesicht studierte, vor allem in den
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