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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Fuentes
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der Junge in seinem Inneren schürte. Trotzdem war er ein fröhlicher Junge. Er aß gern, wollte alle möglichen mexikanischen Leckerbissen haben und lud Laura zu yukatekischen Festessen im Circulo del Sureste an der Galle de Lucerna ein, wo es Papadzul gab, ein Gericht aus Kürbiskernen, Tomaten und Tortillas mit Eier- und Mandelsauce, oder auch die überwältigend süße neapolitanische Creme. Er lud sie in den Patio des Bellinghausen an der Calle de Londres ein, in derm es mit Avocadopüree übergossene Schmetterlingsraupen – Gusanos de Maguey – gab, ins Danubio an der Calle de Uruguay, um die »Callos de hacha« genannten Seemuscheln mit ein paar Tropfen Zitronensaft und dickflüssiger Chili-Sauce zu genießen, die Wohlgeruch verströmte und köstlicher war als alle anderen scharf gewürzten Speisen.
    Ich bezahle, Mama, ich lade dich ein.
    Der Blick Dantons verfolgte sie, die schlurfenden Schritte Juan Franciscos in den alten Hausschuhen verfolgten sie, doch Laura Dïaz kümmerte sich nicht darum, das Zusammensein mit Santiago war für sie ganz einfach das Leben in diesem Jahr 1941, als sie zu ihrer Familie heimgekehrt war und, manchmal mit Schuldgefühlen, ihre Liebe zu Maura in der Liebe zu Santiago weiterbewahrte. Santiago der Zweite, in dem auch ihre Liebe zum ersten Santiago fortbestand, als gäbe es keine Macht im Himmel oder auf Erden, die ihr eine Ruhepause, die ihr die Einsamkeit auf zwingen könnte, und so war es nebensächlich, ob das Schuld oder Erlösung bedeutete. Nach ein paar Abenden auf dem Balkon, während derer sie den rauschenden Park und die erloschenen Vulkane betrachtete, ließ sich zwischen Bruder, Geliebtem und Sohn keine Kluft mehr wahrnehmen.
    »Ich fahre nach Havanna und hole Raquel Mendes-Aleman heraus. Die Prinz Eugen durfte nicht in den Vereinigten Staaten anlegen, und die Kubaner tun, was die Amerikaner befehlen. Oder wenigstens das, von dem sie sich einbilden, daß es die Amerikaner wünschen. Das Schiff fährt zurück nach Deutschland. Da überlebt keiner von ihnen. Hitler hat den Demokratien wieder einmal eine Falle gestellt. Er hat ihnen gesagt: Selbstverständlich, passen Sie auf, ich schicke Ihnen ein Schiff voller Juden, geben Sie ihnen Asyl.‹ Jetzt wird er sagen: ›Sie sehen ja, Sie wollen sie nicht, und ich noch viel weniger, alle ab in die Gaskammer, und es ist Schluß mit dem Probleme Laura, wenn ich rechtzeitig komme, rette ich Raquel.«
    »Schließen wir denn nie Frieden, Juan Francisco?«
    »Was willst du noch von mir? Ich habe dich in meinem Haus wieder aufgenommen und unseren Kindern gesagt, daß sie dich respektieren sollen.«
    »Merkst du nicht, daß noch jemand in diesem Haus mit uns zusammenlebt?«
    »Nein. Wer ist dieses Gespenst?«
    »Zwei Gespenster. Du und ich. Wie wir früher waren.«
    »Ich begreife das alles nicht. Beruhige dich, Frau. Was macht deine Arbeit?«
    »Sie läuft gut. Die Riveras können nicht mit Papieren umgehen, sie brauchen jemanden, der ihnen ihre Briefe beantwortet, Dokumente ablegt, Verträge überprüft.«
    »Sehr gut. Ich gratuliere. Aber kostet dich das nicht viel Zeit?«
    »Ich bin dreimal in der Woche dort. Ich will mich gründlich um das Haus kümmern.«
    Dieses »sehr gut« ihres Mannes sollte heißen: Es wurde auch allmählich Zeit. Doch Laura ging darüber hinweg. Manchmal dachte sie, ihn geheiratet zu haben, sei so ähnlich, als hielte sie dem Schicksal auch noch die andere Wange hin. Das machte etwas zu einer alltäglichen Wirklichkeit, das nach wie vor ein Rätsel für sie war und vielleicht immer bleiben sollte: das wahre Leben des Juan Francisco Lopez Greene, das so weit von ihr entfernt schien. Sie wollte ihn nicht laut fragen, was sie sich so oft selbst fragte: Was tat ihr Mann? Wo hatte er versagt? War er ein Held gewesen und hatte es satt bekommen, einer zu sein?
    Später verstehst du das, sagte er.
    Später verstehe ich das, wiederholte sie so lange, bis sie überzeugt war, daß der Satz von ihr stammte.
    »Laura, ich bin müde. Ich bekomme ein gutes Gehalt von der CTM und vom Unionskongreß. Im Haus fehlt es an nichts. Wenn du dich um Diego und Frida kümmern willst, ist das deine Sache. Soll ich noch dazu wieder ein Held werden, wie 1908, wie 1917, im Haus des Weltarbeiters und in den Roten Bataillonen? Ich kann dir eine Liste mit den Helden der Revolution aufstellen. Man hat uns gerecht belohnt, von den Toten abgesehen.«
    »Nein, ich will es endlich wissen. Warst du wirklich ein Held?«
    Juan Francisco

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