Die Jahre mit Laura Diaz
Rebellion in Rio Blanco. Schließlich habe ich mich gefragt, wozu Priester gut sind: Alles, was Pater Elzevir machte, konnte man auch ohne die Kirche machen. Meine Mutter wäre mit oder ohne Segen gestorben. Porfirio Dïaz hatte seine Armee geschickt, um die Arbeiter von Rio Blanco zu töten, und er ließ sie ins Meer werfen, mit der Erlaubnis des Herrn Pfarrers oder ohne, und Margarita Ramîrez hatte ebenfalls keinen Pfarrer nötig, um den Laden anzuzünden. Ich habe mich aufrichtig gefragt, wofür zum Teufel die Kirche gut war, und als wollte Elzevir meine Zweifel bestätigen, hat er ganz schnell gezeigt, was in ihm steckte: Er ging nach Veracruz und erklärte, diese Sache in Rio Blanco sei eine anarchistische Verschwörung‹ gewesen. Er erschien in den Zeitungen zusammen mit dem amerikanischen Konsul und beglückwünschte die Regierung zu ihrem entschlossenen Durch-greifen‹. Alles, um sich seinen Diebstahl und seine Flucht aus Catemaco vergeben zu lassen. Er hatte den Verrat im Blut. Er benutzte mich, als er glaubte, daß wir gewinnen würden, und er verriet uns, sobald wir verloren hatten. Er wußte nicht, daß wir auf lange Sicht gewinnen würden. Damals fing ich an, die Kirche tief zu verachten, ja, sie zu hassen. Deshalb war ich einverstanden, als Galles die Kirche verfolgte, und deshalb habe ich die Nonne Soriano ausgeliefert. Sie sind eine Plage, man muß unerbittlich mit ihnen sein.«
»Du hast ihnen also nichts zu verdanken?« »Doch, dem Pfarrer ja. Elzevir Almonte hat mir von deiner Familie erzählt. Er hat dich das hübscheste Mädchen von Veracruz genannt. Ich glaube, er hat dich begehrt. Er hat mir erzählt, wie du bei ihm gebeichtet hast, und es hat mich begeistert. So habe ich beschlossen, dich kennenzulernen, Laura. Ich bin nach Xalapa gekommen, um dich kennenzulernen.«
Juan Francisco faltete sorgfältig die Karte zusammen. Er hatte bereits den Pyjama an und legte sich ins Bett, ohne noch ein Wort zu sagen.
Sie konnte nicht schlafen, und sie dachte lange an die maßlose Selbstrechtfertigung, die ein Mensch empfinden mag, der sich auf altgewohnte Gefühle stützt, als hätte er den Schierlingsbecher des Lebens ganz ausgetrunken und ihm bliebe nichts weiter übrig, als sich hinzusetzen und auf den Tod zu warten. Muß man das Leiden verinnerlichen, um jemand zu werden? Es empfangen oder es suchen? Die Geschichte Pater Almontes, den sie als Flüchtling, mehr ein Schatten als ein Mann, in der Xalapaer Pension von Mutti Leticia gesehen hatte, wurde von Juai^ Francisco vielleicht eher als Leid und nicht so sehr als Sünde verstanden, ohne daß er es selbst merkte. Wer weiß, welch tiefreligiöse Wurzeln es in den Menschen und Familien dieses Landes gab, wer weiß, ob eine Empörung gegen die Religion nur eine weitere Möglichkeit war, religiös zu sein. Und die Revolution selbst, ihre patriotischen Zeremonien, ihre zivilen Heiligen und ihre kriegerischen Märtyrer, waren sie nicht eine Art parallele, weltliche Kirche, und glaubte diese nicht ebenso zuversichtlich, das Heil zu bewahren und zu spenden, wie die römisch-apostolische Kirche, die seit der Conquista die Mexikaner erzogen, geschützt und ausgebeutet hatte – alles durcheinander? Aber nichts von alldem erklärte oder rechtfertigte schließlich den Verrat an einer Frau, die Asyl in einem Haus gefunden hatte, dem ihren, dem von Laura Dïaz.
Juan Francisco hatte keine Vergebung verdient. Er würde sterben – Laura schloß die Augen, um einzuschlafen –, ohne daß ihm seine Frau verziehen hätte. In jener Nacht fühlte sie sich eher als die Schwester Gloria Sorianos und nicht so sehr als die Frau Juan Francisco Lopez Greenes. Eher als Schwester und nicht als Ehefrau, eher als Schwe…
Sie wollte die Veränderung im Leben ihres Mannes, dieses energischen, hochherzigen Arbeitertribunen der Revolution, der zu einem zweitrangigen Politiker und Funktionär geworden war, so grübelte sie am Morgen weiter, nicht auf die Zwänge des bloßen Überlebens zurückführen. Vielleicht lieferte das Spiel von Vater und Sohn mit der Landkarte den Schlüssel zum Verständnis Juan Franciscos, der sich nicht allein durch die armselige Saga des Paters Almonte ergründen ließ, und Danton, der ein Geheimniskrämer sein konnte, war oft auch geschwätzig, sogar angeberisch, wenn es für seine Selbstachtung, seinen Ruf und seine Chancen vorteilhaft war. Nein, sie wolle nicht verheimlichen, welche Sympathien und Unterschiede es hier in ihrem Haus gebe, hier solle
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